06.01.2013 Aufrufe

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zweifelsohne ist es ein bleibendes Verdienst des <strong>Marxismus</strong>, den Blick der Geschichtsforschung<br />

auf die Rolle der Produktivkräfte gelenkt zu haben. Diese faßt er primär<br />

als materielle Faktoren auf. Zugleich bezeichnet Marx die Maschinen aber auch als<br />

„Organe des menschlichen Willens über die Natur“, „vergegenständlichte Wissenskraft“ 65 .<br />

Dies sind sie heute mehr denn je, denn unter den Bedingungen der wissenschaftlichtechnischen<br />

Revolution wirkt die Wissenschaft nicht nur mittelbar auf die Produktion ein,<br />

sondern sie wird zur „unmittelbaren Produktivkraft“ 66 . Was heißt das aber anderes, als<br />

daß in verstärktem Maße der menschliche Geist die materielle Produktion unmittelbar<br />

bestimmt <strong>und</strong> durchdringt? So scheint die These von der Produktivkraftentwicklung als<br />

der Triebkraft der Geschichte - <strong>und</strong> der <strong>Marxismus</strong> schätzt selbst die Menschen mit ihren<br />

Fähigkeiten als Hauptproduktivkraft ein! - sich so zu drehen, daß nicht Materie, sondern<br />

dem die Produktivkraftentwicklung bestimmenden Menschengeist der Primat <strong>für</strong> den<br />

geschichtlichen Prozeß zukommt. Dies wäre natürlich kein Materialismus mehr; <strong>und</strong> so<br />

gibt man sich denn alle Mühe, Argumente da<strong>für</strong> zu ersinnen, wieso trotz des zugegebenen<br />

Geist-Anteils an der Produktivkraftentwicklung diese ein primär materiell bestimmter<br />

Prozeß ist: Man verweist dabei u.a. darauf, daß Fähigkeitsbildung immer eine Anpassungsleistung<br />

an die Zwänge <strong>und</strong> Notwendigkeiten objektiv vorgegebenen Produktionsbedingungen<br />

ist. Und auch die den Fähigkeiten zugr<strong>und</strong>e liegenden Begabungen betrachtet<br />

man als materiell verursacht durch physische Vererbung.<br />

Die Tatsache, daß um den Status der Basis-Überbau-Lehre bis heute unter Marx‘ Anhängern<br />

gestritten wird, dürfte nicht zuletzt in der Problematik des Verhältnisses von Kritik<br />

<strong>und</strong> Widerspiegelung in der Marxschen Gesellschaftstheorie begründet sein. Marx<br />

versteht seine Analyse des Kapitalismus einerseits als Kritik eines falschen <strong>und</strong> zu überwindenden<br />

Zustands, andererseits will er sich darauf beschränken, eine sich unabhängig<br />

vom Bewußtsein vollziehende Geschichtsgesetzmäßigkeit einfach zu konstatieren. Das<br />

Verhältnis beider Ansätze ist konfliktträchtig. Deshalb kann die Frage entstehen, ob nicht<br />

die Existenz eines vom gesellschaftlichen Lebensprozeß relativ abgehobenen Überbaus,<br />

ob nicht die Tatsache, daß Zusammenhänge des Handelns sich als zwingende Gesetze<br />

darstellen, Bestandteil des falschen gesellschaftlichen Zustands Kapitalismus sind, eines<br />

Zustands, in dem das Objekt das Subjekt bestimmt, statt von ihm bestimmt zu werden.<br />

Besonders aus den Reihen der „Frankfurter Schule“ hat man die Marxsche Theorie in<br />

diesem Sinne auffassen wollen. Richtig ist sicher das Folgende: Marx will einen Zustand<br />

nicht nur beschreiben, sondern mit der Beschreibung zugleich kritisieren, in dem die tote,<br />

aufgehäufte, vergegenständlichte Arbeit, Besitz an Geld <strong>und</strong> Maschinen, die lebendige,<br />

sich erst vergegenständlichende Arbeit bestimmt. Diese Kritik visiert einen Zustand als<br />

geschichtlich möglich an, in dem diese Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart<br />

beendet ist. 67 Doch spricht vieles dagegen, daß Marx von der Möglichkeit einer völligen<br />

Umkehrung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses ausgegangen ist.<br />

Marx glaubt an den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft, wendet sich aber dagegen,<br />

den Fortschrittsbegriff „in der üblichen Abstraktion zu fassen“. 68 Form <strong>und</strong> Tempo<br />

des Fortschritts will der <strong>Marxismus</strong> jeweils konkret-historisch bestimmen. Entscheidendes<br />

Kriterium ist der an den materiellen Produktionsmitteln ablesbare Stand der Naturbeherrschung.<br />

Aber man will diesen Stand nicht außerhalb des Zusammenhangs mit der Gesellschaftsordnung<br />

betrachten, was zu tun man den Verfechtern der Industriegesellschaftstheorie<br />

vorhält. Den kulturellen Fortschritt sieht man vom materiellen abhängig,<br />

aber zwischen beiden existiere keine simple Korrelation. Die Herausbildung des realexistierenden<br />

Sozialismus wertet man als den größten Menschheitsfortschritt - das „imperialistische“<br />

westliche System wird mit Fortschrittsfeindlichkeit identifiziert. Negative Erscheinungen<br />

im realen Sozialismus führt man darauf zurück, daß er ein junger, sich noch<br />

entwickelnder <strong>soziale</strong>r Organismus ist, in den Ländern, in denen er siegte, schwere<br />

Startbedingungen vorlagen <strong>und</strong> er sich in einem erbitterten Wettstreit mit dem westlichen<br />

System behaupten muß. Unsere geschichtliche Epoche wird als Epoche des Übergangs<br />

vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab gekennzeichnet: „Insgesamt verläuft<br />

der historische Prozeß der Gegenwart zum Sozialismus <strong>und</strong> Kommunismus. Hierin besteht<br />

sein tiefer Sinn.“ 69 Doch dürfe man die marxistische Fortschrittskonzeption nicht<br />

versimpeln, es gebe keinen Zustand absoluter Vollkommenheit, auf den alles hinsteuere.<br />

Denn „die Geschichte tut nichts, sie ,besitzt keinen ungeheuren Reichtum‘, sie ,kämpft<br />

65<br />

Gr<strong>und</strong>risse, S. S94.<br />

66<br />

ibd.<br />

67<br />

Vgl. MEW 23, S. 329.<br />

68<br />

Gr<strong>und</strong>risse, S. 29.<br />

69<br />

Konst. 272.<br />

120

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!