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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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listischer Manier unterschätzt werden dürfen. Steiners „Kosmosophie“ knüpft auch an<br />

dem trotz aller Ketzerverfolgungen nie ganz ausgerotteten mystisch-gnostischen Gedanken<br />

von der Natur als dem Leib Gottes, Gott als dem Selbstbewußtsein des Universums.<br />

Doch was Steiner von allem Pantheismus unterscheidet, ist die Konkretheit, man könnte<br />

auch sagen, Wesenheitlichkeit seiner Geistauffassung. Die personal-überpersonalen<br />

Geistwesenheiten, mit denen er die Gestirne <strong>und</strong> die von ihnen ausgehenden überphysischen<br />

Kräfte in Verbindung bringt <strong>und</strong> in deren Benennung er u.a. der Tradition der<br />

christlichen Esoterik folgt, sind keine „dei ex machina“ die eine dem Geist als „das ganz<br />

andere“ dualistisch gegenüberstehende, mechanisch gefaßte Materie von außen, auf<br />

mirakulöse Weise, mit Bewußtsein begaben (wie es sich denn auch bei solcher Gestirnsk<strong>und</strong>e<br />

keineswegs einfach um die Aktualisierung älterer astrologischer Vorstellungen<br />

handelt). Für Steiner liegt die wesenhafte geistige Welt zwar jenseits der Erfahrungsgrenzen<br />

der Naturwissenschaft <strong>und</strong> des gegenwärtigen Alltagsbewußtseins, nicht jedoch jenseits<br />

der Grenzen der uns umgebenden physischen Gegenständlichkeit, die sie vielmehr<br />

durchwirkt <strong>und</strong> durchdringt, „wie Licht <strong>und</strong> Luft den Raum durchdringen“. 4<br />

Wenn man den Materialismus damit begründet, Materie könne weder aus dem Nichts<br />

entstehen noch spurlos verschwinden, so gibt Steiner die Prämisse zu, aber verwirft die<br />

Folgerung. Nicht aus Nichts, sondern aus Geistigem entsteht <strong>für</strong> ihn das Materielle über<br />

verschiedene Stufen der Verdichtung <strong>und</strong> Verfestigung: Einst war alles geistige Wesenhaftigkeit,<br />

dann ziehen die Wesen sich zurück, es bleibt die Offenbarung ihrer Kräfte, die<br />

schließlich nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch als Wirksamkeit vorhanden sind, bis<br />

endlich nur noch das „Werk“ übrigbleibt, in dem die Kräfte der schöpferischen Wesenheiten<br />

der Welt enthalten sind, aber nicht mehr als lebendige, sondern als festgeronnene.<br />

Alles, was stofflich mit dem Planeten Erde verknüpft ist, „hat sich aus solchem herausverdichtet,<br />

was mit ihm vorher geistig verb<strong>und</strong>en war. Man hat sich aber nicht vorzustellen,<br />

daß jemals alles Geistige sich in Stoffliches umwandelt; sondern man hat in dem<br />

letzteren immer nur umgewandelte Teile des ursprünglichen Geistigen vor sich. Dabei<br />

bleibt das Geistige auch während der stofflichen Entwicklungsphase das eigentlich leitende<br />

<strong>und</strong> führende Prinzip.“ 5<br />

Steiner läßt sich von der angeblich unausweichlichen Alternative: Emanationismus<br />

oder Kreationismus, nicht beeindrucken, bestreitet die Notwendigkeit einer Wahl zwischen<br />

dem Gedanken der Schöpfung <strong>und</strong> dem der Evolution <strong>und</strong> verficht die Idee einer<br />

Schöpfung durch Evolution. Die Evolution gebiert die Materie, an der sich der Mensch<br />

das Gegenstandsbewußtsein <strong>und</strong> eine individuelle, eigenständige Stellung im Kosmos<br />

erwirbt. Dieselbe Evolution nimmt aber schließlich das Materielle wieder zurück, wobei es<br />

sich nicht „spurlos“ auflöst, sondern vergeistigt: Das Resultat enthält den Weg in „aufgehobener“<br />

Form, das Materiell-Substantielle als Transsubstantiiertes. Es handelt sich bei<br />

dieser Auffassung von der Entstehung der „Erde <strong>und</strong> des Menschen aus einem gemeinsamen<br />

Geistursprung“ um „eine Kosmologie, die zugleich eine Anthropologie ist [...] In<br />

gewaltigen Entwicklungsrhythmen vollzieht sich die Welterschaffung, indem in aufeinanderfolgenden<br />

Kreisläufen die einzelnen Elementarzustände der immer physischer werdenden<br />

Erde <strong>und</strong> die immer individueller werdenden Bewußtseinszustände des Menschen<br />

entstehen.“ 6<br />

Die moderne Naturwissenschaft fragt nach der Entstehung des Lebens. Zahlreiche<br />

Forscher neigen zu der Auffassung, daß es im Prinzip möglich ist, die Lebensvorgänge<br />

aus den physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten des Unlebendigen hervorgehend<br />

zu denken. Immerhin stehen dieser Auffassung, wie sie besonders profiliert der Nobelpreisträger<br />

Manfred Eigen vertreten hat, vereinzelte Stimmen anderer Naturwissenschaftler<br />

gegenüber, wie die Erwin Chargaffs, der auf die extreme Unwahrscheinlichkeit einer<br />

Entstehung der Lebensvorgänge aus dem Spiel des Zufalls oder materieller Notwendigkeit<br />

hinweist. 7 Nach Steiner ist die Frage nach der Entstehung des Lebens geradezu<br />

falsch gestellt - es müsse nach der Entstehung des Toten aus Lebendigem gefragt werden.<br />

Für diesen Ansatz spricht auch, daß wir die Entstehung des Lebendigen aus Totem<br />

nirgends beobachten können, während sich der umgekehrte Prozeß täglich vor unseren<br />

4<br />

GA 56, S. 272. Zum Gesamtkomplex vgl. GA-Nrn. 13, 98, 110, 132, 136.<br />

5<br />

GA 13, S. 105. Vgl. GA 26, S. 94ff.<br />

6<br />

Carl Unger 1, S. 317ff.<br />

7<br />

Chargaff, der Entdecker des Replikationsvermögens der Desoxyribonukleinsäure, der Substanz, die die<br />

Vererbung rein chemisch erklärbar machen soll, schreibt, daß die Nukleinsäure bestimmte Enzyme benötigt, die<br />

ihrerseits der Theorie entsprechend wieder durch Ablesung einer bestimmten Sequenz der Nucleinsäure gebildet<br />

sein müssen. ,,Nun ist mir nicht klar, durch welchen Prozeß zwei voneinander unabhängige Stoffe, von<br />

denen keiner ohne den anderen entstanden sein kann, so entstehen konnten, daß sie von Anfang an aufeinander<br />

wirkten oder miteinander zusammenarbeiteten.“ (Scheidewege Nr. 1/1975, zit. nach Thürkauf, S. 145).<br />

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