06.01.2013 Aufrufe

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

“sprache“, die Gardner im Experiment Affen beibringen konnte, könnte man nur mit Gewaltsamkeit<br />

als Darstellung im Sinne Bühlers interpretieren. Man muß auch hinzufügen,<br />

daß menschliche Sprache in ihrer auslösenden eine nichtinstinktive moralische, in ihrer<br />

k<strong>und</strong>gebenden eine nichtinstinktive ästhetische Komponente hat, derer das Tier als nicht<br />

ichhaftes Wesen ebenfalls entbehrt. Die Sprache als ästhetische Ausdrucksleistung wird<br />

von der materialistischen Deutung der Sprachentstehung her nicht verständlich. Die Tatsache,<br />

daß die ältesten rekonstruierbaren Sprachen der Menschheit (aus der Steinzeit)<br />

„künstlerisch <strong>und</strong> geistig bereits hochentwickelte Gebilde“ darstellen 31 , läßt sich aus den<br />

Kommunikationserfordernissen im primitiven altsteinzeitlichen Arbeitsprozeß nicht ableiten.<br />

J. W. Ernst bezeichnet die Sprachschöpfung unter Berufung auf die Arbeiten Menghins<br />

<strong>und</strong> Portmanns als ,geistige Großtat der materiell unvollkommensten Kultur“ 32 die<br />

schließlich zu den frühen mythischen Hochkulturen geführt habe, deren späte <strong>und</strong> den<br />

ursprünglichen Kulturreichtum nur noch abglanzhaft wiedergebende Zeugen die Naturvölkerkulturen<br />

sind.<br />

Steiner ging davon aus, daß vor der durch F<strong>und</strong>e belegten steinzeitlichen Menschheitsepoche<br />

noch weitere geschichtliche Epochen liegen, in denen auch der Ursprung<br />

von Sprache <strong>und</strong> aufrechtem Gang zu suchen ist. Das Leben des Steinzeitmenschen<br />

„war einfach, sein Horizont war beschränkt, seine Gedankenwelt auf die Verteidigung<br />

seines Lebens <strong>und</strong> die Nahrungssuche begrenzt.“ 33 Aber er hatte eben doch gewisse<br />

Denkfähigkeiten erreicht, im Gegensatz zur Menschheit der davorliegenden Epoche, die<br />

Steiner mit der alten Vorstellung eines versunkenen Kontinents (der „Atlantis“) in Verbindung<br />

bringt. Bei der „atlantischen“ Menschheit war die vordere Stirnpartie noch unentwickelt:<br />

„Die Entwicklung der vorderen Stirnpartie geht parallel derjenigen des Gehirns <strong>und</strong><br />

des Gedankens [...] Ein bestimmter Punkt des Äthergehirns, der sich heute innerhalb des<br />

Schädels befindet, war damals noch außerhalb. Es gab einen Punkt in der Entwicklung<br />

der Atlantier - sie dauerte mehrere Millionen Jahre -, wo dieser Punkt sich ins Innere des<br />

Schädels zurückzog. Dieser Moment ist von gr<strong>und</strong>legender Wichtigkeit, denn vom Zeitpunkt<br />

an, wo der Mensch anfing zu denken [...] ,Ich‘ zu sich zu sagen, begann er auch zu<br />

kombinieren, zu rechnen, wozu er früher nicht fähig gewesen war. Da<strong>für</strong> besaßen die<br />

Atlantier ein getreueres, weniger dem Irrtum unterworfenes Gedächtnis [...] Sie wußten<br />

durch das Gedächtnis, daß ein bestimmtes Ereignis immer eine Reihe anderer nach sich<br />

zog, aber sie kannten nicht die Ursache dieser Ereignisse <strong>und</strong> konnten nicht darüber<br />

nachdenken. Der Begriff der Kausalität existierte bei ihnen erst in einem embryonalen<br />

Stadium.“ 34<br />

Sprache ist deshalb mehr als die Aneinanderreihung einzelner Laute, weil diese die<br />

Luftverkörperung eines jeweiligen Sinns darstellen. „Nur ein verstandenes Wort funktioniert<br />

als Wort“, schreibt Georg Kühlewind; „deshalb ist es unumgänglich, die von außen<br />

gegebenen Wortzeichen wortlos unmittelbar zu verstehen: das bezieht sich vor allem auf<br />

den Anfang des Sprechens. Vermittelungen mögen später hilfreich sein, aber auch diese<br />

nur, wenn sie verstanden werden. Die ersten Worte - die ersten drei, zehn, zwanzig? -<br />

lernt das Kind absolut ohne Vermittlung zu verstehen; auch Gebärde, Mimik, Verhaltensformen<br />

müssen erst verstanden werden, um etwas zu bedeuten.“ Das vorsprachliche<br />

Verstehen - die eigentliche Ur-Sprache - ist unmittelbare Kommunikation durch „überbewußte<br />

Identifikation“ mit dem sprechenden Ich-Wesen des anderen Menschen. 35 Für den<br />

Verständnislosen, der den in das Wort gelegten Sinn nicht in sich lebendig machen kann,<br />

bleibt dieses Wort tot, „leere Worte“ macht ein Sprechender, der gedankenlos daherredet.<br />

Das Sich-Ausdrücken <strong>und</strong> Einander-Verstehen im Dialog ist das Urbild des Sozialen<br />

schlechthin: ohne die Ausbildung der Fähigkeit zum Dialog gibt es keine Lösung der <strong>soziale</strong>n<br />

Probleme der Gegenwart, - dies wurde auch in der Einleitung zu dieser Arbeit herausgestellt.<br />

Was ist erquicklicher als das Licht? - Das Gespräch. So lautet ein von Steiner<br />

oft zitierter Satz aus Goethes Märchen von der Schlange <strong>und</strong> der schönen Lilie. 36<br />

Die Entwicklung der Sprache reflektiert die Bewußtseinsentwicklung der Menschheit.<br />

Für eine ältere Menschheit waren Außen <strong>und</strong> Innen noch zwei Seiten einer Sache. Daß<br />

wir heute noch Ausdrücke <strong>für</strong> Äußeres im übertragenen Sinne <strong>für</strong> Inneres anwenden, ist<br />

ein Abglanz dieser ursprünglichen Einheit. Z.B. drücken wir unsere Stimmung im Bild der<br />

Trübe aus, wir sind ,betrübt“, einen Text nennen wir ,unausgegoren“; ohne solche Bilder<br />

68<br />

31<br />

Ernst 1977, S. 9.<br />

32<br />

ibd.<br />

33<br />

GA 94, S. 85f.<br />

34<br />

ibd. 86.<br />

35<br />

Kühlewind 1984, S. 43.<br />

36<br />

Vgl. in GA 22.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!