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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Bei den Griechen - <strong>und</strong> auch in anderen Kulturkreisen, z. B. in der Vorstellungswelt des<br />

Frühbuddhismus <strong>und</strong> Taoismus - war die Auffassung einer durch Urpolaritäten geprägten<br />

Natur diejenige, zu der man spontan tendierte. Engels nennt die noch gleichsam naturwüchsige<br />

objektive Dialektik bei den Griechen eine geniale Intuition. Der Gr<strong>und</strong>gedanke<br />

sei der, daß die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen, sondern von Prozessen<br />

aufzufassen ist. Zwar werde der Gesamtzusammenhang der Naturerscheinungen in der<br />

Antike nicht im Detail nachgewiesen, sondern sei Resultat unmittelbarer Anschauung. 4<br />

Aber die ganzheitliche Naturbetrachtung der Griechen wird doch zum Urbild aller späteren<br />

Versuche, die Welterscheinungen in ihrem inneren Zusammenhang aufzufassen.<br />

Das Verhältnis von Sinneswahrnehmung <strong>und</strong> Denken in der Erkenntnis wird erstmals<br />

bei Parmenides zum Problem. Indem sein Schüler Zeno die Antinomien der Bewegung<br />

so deutet, daß diese Schein sei, das wahre Sein ruhend, unbewegt gedacht werden<br />

müsse, wird er paradoxerweise in einem <strong>und</strong> zugleich zum Vater aller dialektischen Begriffskunst<br />

<strong>und</strong> aller <strong>und</strong>ialektischen Ontologie. Der Antipode dieser „Eleaten“ ist Heraklit.<br />

Für ihn ist der Kampf der Gegensätze „Vater aller Dinge“, Triebkraft der Entwicklung <strong>und</strong><br />

Bewegung. Die Dialektik ist hier der Atem der alles durchwaltenden worthaften Vernunft,<br />

des „Logos“, den die menschliche Vernunft in der Erkenntnis vernimmt. Bei Empedokles<br />

regiert die Polarität von Liebe <strong>und</strong> Haß, nicht nur im Menschen, sondern als Verbindung<br />

<strong>und</strong> Trennung der Elemente auch in der Natur. Inneres <strong>und</strong> Äußeres sind durchs gleiche<br />

Prinzip verb<strong>und</strong>en: gleiches wird nach Empedokles nur durch gleiches erkannt, die Elemente<br />

der Außenwelt durch ihnen verwandte Kräfte in unserem Innern.<br />

In der Linie Demokrits <strong>und</strong> derjenigen Platons trifft der Gegensatz von Materialismus<br />

<strong>und</strong> Idealismus aufeinander: Demokrit unternimmt den ersten Versuch einer materialistischen<br />

Abbildtheorie der Erkenntnis. Für Plato dagegen kommt wahres Sein nur den ewigen<br />

Ideen zu, die sinnlich wahrnehmbaren Dinge sind lediglich Nachbilder, Schatten dieser<br />

Urbilder, sind nur kraft ihrer Teilhabe an jenen, was sie sind. Das Erkennen ist ein<br />

Hervorzaubern der Erinnerung an die reinen Urbilder aus der Seele, die sie vor ihrer Geburt<br />

in leibfreiem Zustande geschaut hat. In den Dialogen Platos ist die Dialektik als<br />

Kunst, durch Widersprüche zur Wahrheit vorzustoßen, klassisch ausgeprägt - wobei Plato<br />

<strong>und</strong> sein Lehrer Sokrates sich von der relativistischen Dialektik der Sophisten abgrenzen.<br />

Bei Sokrates wird der Aufweis von Widersprüchen in der Position des Gegenübers zum<br />

Mittel der „Hebammenkunst“, die die Wahrheit durch Einsicht im Gegenüber zustandekommen<br />

läßt.<br />

Aristoteles kritisiert die Tendenz der Platonischen Philosophie zum Dualismus, zur<br />

Verselbständigung der Ideen- gegenüber der Sinneswelt. In Wirklichkeit sei das Allgemeine,<br />

die Idee, mit den sinnlich wahrnehmbaren Dingen untrennbar verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> in<br />

ihnen - als ihre „Entelechie“, ihr Wesen - verkörpert <strong>und</strong> wirksam. Die Entelechie ist die<br />

der vergänglichen Materie der raum-zeitlich bestimmten Einzeldinge gegenüber dauernde<br />

Form, <strong>und</strong> die schöpferische Vernunft ist das Organ der Auffassung dieses Dauernden im<br />

Wechsel, des Allgemeinen in der Erscheinung. Diese Frage des Verhältnisses von Allgemeinem<br />

<strong>und</strong> Einzelnem <strong>und</strong> seiner Dialektik prägt dann den Disput über Erkenntnisprobleme<br />

in der mittelalterlichen Scholastik in Gestalt des Universalienstreits. Die Realisten<br />

halten die Ideen <strong>für</strong> Wirklichkeiten; die Nominalisten <strong>für</strong> bloße Namen, die bekanntlich<br />

Schall <strong>und</strong> Rauch sind, <strong>für</strong> zusammenfassende Bezeichnungen, Abkürzungen <strong>für</strong> eine<br />

jeweilige Vielheit von einzig <strong>und</strong> allein wirklichen sinnlichen Einzeldingen. Auch die Dialektik<br />

als Kunst des Pro <strong>und</strong> Contra bringt die Scholastik zu hoher Blüte.<br />

Aristoteles ist der eigentliche Begründer der Logik als Wissenschaft von den Denkformen.<br />

Die Definition der Begriffe, ihre Verbindung zu Urteilen, die Verbindung von Urteilen<br />

zu Schlüssen <strong>und</strong> Schlußketten (Beweise), all das hat er erstmals untersucht, ebenso<br />

wie die Rolle der Kategorien <strong>und</strong> Denkgesetze. Die Kategorien sind die höchsten, nicht<br />

weiter ableitbaren Begriffe: Wesen, Größe, Beschaffenheit, Verhältnis zu andern Gegenständen,<br />

Ort <strong>und</strong> Zeit des Vorkommens, was er tut oder was mit ihm geschieht <strong>und</strong> der<br />

Habitus können von jedem Gegenstand ausgesagt werden. Ebenso unableitbar wie die<br />

Kategorien sind die Denkgesetze: Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, der<br />

Satz der Identität, der Satz vom ausgeschlossenen Dritten <strong>und</strong> der vom zureichenden<br />

Gr<strong>und</strong>e. Sie bedürfen nach Aristoteles auch keiner Ableitung, sondern sind unmittelbar<br />

evident.<br />

Aristoteles hat gezeigt, daß der Schluß vom Allgemeinen aufs Besondere (Deduktion)<br />

notwendig wahre Resultate liefert, während die Verallgemeinerung von Einzelbeobach-<br />

72<br />

4 MEW 20, S. 320; MEW 21, S. 293; MEW 20, S. 333.

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