Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Einleitung<br />
Zur Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung des <strong>Marxismus</strong><br />
Karl Marx wird 1818 als Sohn einer liberalen, zum Protestantismus konvertierten jüdischen<br />
Familie in Trier geboren. Schon früh zeigt sich das biographische Motiv der Hingabe<br />
an große Menschheitsziele. Wer nur <strong>für</strong> sich, nicht <strong>für</strong> die Menschheit schaffe, heißt es<br />
im Abiturientenaufsatz von 1835, könne „wohl ein berühmter Gelehrter, ein großer Weiser,<br />
ein ausgezeichneter Dichter, aber nie ein vollendeter, wahrhaft großer Mensch<br />
sein[...]“ 1<br />
Von 1835 ab studiert Marx Rechtswissenschaft <strong>und</strong> Philosophie in Bonn <strong>und</strong> Berlin.<br />
Europa hat die französische Revolution erlebt, <strong>und</strong> auch in Deutschland formiert sich der<br />
Widerstand der Demokraten gegen die <strong>für</strong>stlich-feudalen Gewalten. Marx gerät bald unter<br />
den Einfluß der Philosophie Hegels. Er verkehrt im Kreis der Junghegelianer, d.h. der<br />
radikal gesinnten Hegelschen Linken. 1841 promoviert er in Jena mit einer Arbeit „Über<br />
die Differenz der demokritischen <strong>und</strong> epikureischen Naturphilosophie“ - er vertritt zu dieser<br />
Zeit bereits die Position des Atheismus, aber noch nicht die eines konsequenten Materialismus.<br />
Nach dem Scheitern der Hoffnungen auf einen Lehrstuhl beginnt er eine Tätigkeit<br />
als Redakteur der „Rheinischen Zeitung“, <strong>und</strong> diese Arbeit konfrontiert ihn mit den<br />
<strong>soziale</strong>n Fragen, was sich z.B. in Artikeln über die Lage der Moselwinzer <strong>und</strong> über das<br />
„Holzdiebstahlgesetz“ niederschlägt. 2<br />
1843 flüchtet der Jungvermählte aus der Enge der deutschen Verhältnisse nach Paris,<br />
wo er mit Arnold Ruge zusammen die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ herausgibt,<br />
die aber nur bis zum ersten Band gedeihen. Er setzt sich mit dem „utopischen Sozialismus“<br />
von Samt-Simon, Fourier, Blanc <strong>und</strong> Proudhon auseinander. Diese stützen sich auf<br />
die Ideen der französischen Aufklärer, besonders ihre Milieutheorie. Die radikalsten Aufklärer<br />
- z. B. Holbach - bekannten sich offen zum Materialismus, den Marx <strong>und</strong> Engels<br />
später als „logische Basis des Kommunismus“ bezeichnen werden. 3<br />
Unter dem Einfluß der materialistischen Philosophie Ludwig Feuerbachs wendet sich<br />
Marx von Hegel ab; er verfaßt eine Kritik des Hegelschen Staatsrechts. Das Zeitklima seit<br />
dem Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ist dem Materialismus günstig: die Triumphe<br />
der naturwissenschaftlichen Forschung, die eine immer weitergehende Naturbeherrschung<br />
durch die Technik ermöglichen, läßt vielen die Existenz Gottes als eine Hypothese<br />
erscheinen, die man nun - wie Laplace einmal gegenüber Napoleon formulierte -<br />
nicht mehr nötig hat. Dies um so mehr, als die Art <strong>und</strong> Weise, in der die Kirchen auf die<br />
naturwissenschaftliche Herausforderung reagieren, denkenden Zeitgenossen als Beweis<br />
der inneren Unwahrhaftigkeit der Religion vorkommen muß. 4 Marx will jedoch nicht bei<br />
der „Kritik des Himmels“ stehenbleiben, sondern sich der „Kritik der Erde“ zuwenden: „Die<br />
Kritik der Religion ist [...] im Keim die Kritik des Jammertals, dessen Heiligenschein die<br />
Religion ist.“ 5 Marx hat den Schritt über den revolutionären Demokratismus hinaus zum<br />
Sozialismus vollzogen <strong>und</strong> die Partei des sich mit Technik <strong>und</strong> Industrie entwickelnden<br />
Proletariats genommen, das damals begonnen hatte, sich gegen seine elende Lage zu<br />
wehren <strong>und</strong> die Realisierung von Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit immer weniger<br />
vom <strong>soziale</strong>n Verständnis <strong>und</strong> Reformwillen der Herrschenden, immer mehr von der Entfaltung<br />
der eigenen Kraft im organisierten Klassenkampf erwartete. Hegel hatte von der<br />
Realisierung der (philosophischen) Vernunft in der Wirklichkeit gesprochen. Diesen Anspruch<br />
der Vernunft sieht Marx nun in der Rolle des Proletariats aufgehoben: „Wie die<br />
1 MEW-Ergänzungsband 1, S. 459.<br />
2 In MEW 1, S. 172ff., 109ff.<br />
3 MEW 2, S. 139.<br />
4 Wir besitzen z. B. Briefe des jungen Engels, die von einer ursprünglich tiefen religiösen Überzeugung<br />
sprechen. Doch reißt er sich diese Gefühle buchstäblich aus dem Herzen, weil ihm die Religiosität seiner pietistischen<br />
Umgebung als unwissenschaftlicher Köhlerglaube <strong>und</strong> die Lehre von der ewigen Höllenpein der nicht<br />
Rechtgläubigen als herzlos erscheinen muß. Vgl. die beiden Briefe vom 15. <strong>und</strong> 12.-17.6. 1839 an F. Graeber in<br />
MEW-Erg.bd. II, 400ff.<br />
5 MEW 1, S. 379.