Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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nen können daher weder exportiert noch auf Bestellung gemacht werden. 18 Sie können<br />
jedoch an der mangelnden Reife des subjektiven Faktors scheitern: z.B. am Fehlen einer<br />
marxistisch-leninistischen Avantgardepartei oder an deren Versagen, oder an der mangelnden<br />
Geschlossenheit der Arbeiterbewegung.<br />
Während Marx <strong>und</strong> Engels den Sieg der Revolution in den wichtigsten <strong>und</strong> fortgeschrittensten<br />
kapitalistischen Ländern zugleich erwarteten, entdeckt Lenin die Möglichkeit<br />
des Sieges der Revolution in einem Land, die er durch die neuen Bedingungen des Imperialismus<br />
gegeben sieht. Nach wie vor ist der Gedanke der Weltrevolution gültig, aber<br />
man denkt dabei heute an einen längerfristigen „weltrevolutionären Prozeß“, in dem der<br />
Imperialismus überw<strong>und</strong>en werden wird. Man spricht von drei „Hauptsäulen“ dieses Prozesses:<br />
der Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern <strong>und</strong> der „staatlich organisierten<br />
Arbeiterklasse“ des realen Sozialismus, die seine Hauptkraft bilden, <strong>und</strong> der „Nationalen<br />
Befreiungsbewegung“ der Dritten Welt. Der Kapitalismus befindet sich - folgt man<br />
den Dokumenten der Weltkonferenzen der Kommunistischen Parteien - in der Etappe<br />
seiner sich ständig verschärfenden allgemeinen Krise, letztlich hat der Imperialismus die<br />
historische Initiative bereits verloren. Gleichzeitig betonen die angesprochenen Dokumente,<br />
z.B. das der 69er Beratung der Kommunistischen Parteien, das „Hauptkettenglied“<br />
im antiimperialistischen Kampf sei der Kampf <strong>für</strong> den Frieden, gegen die Gefahr<br />
eines thermonuklearen Krieges, <strong>für</strong> die friedliche Koexistenz von Staaten unterschiedlicher<br />
Gesellschaftsordnung. 19<br />
Wie vereinbaren sich Revolution <strong>und</strong> Frieden? In der Bewertung des Friedensmotivs<br />
der Politik der sozialistischen Länder herrscht im Westen Unsicherheit, ja häufig politischer<br />
Streit. Die Entspannungsgegner behaupten, die Friedenslosung sei nur ein Trick,<br />
um den Westen einzulullen <strong>und</strong> schließlich <strong>für</strong> die Revolution sturmreif zu machen. Dagegen<br />
hoffen manche Entspannungsbe<strong>für</strong>worter, die sozialistischen Staaten würden alle<br />
welt-revolutionären Ambitionen aufgeben <strong>und</strong> schließlich sich auch zur ideologischen<br />
Koexistenz bereitfinden. So könne es schließlich sogar zur „Konvergenz“ der beiden Systeme<br />
kommen. Beide Einschätzungen sind unrealistisch, weil sie die Prämissen der Außenpolitik<br />
der sozialistischen Länder verkennen. Diese geht von der Leninschen Doktrin<br />
aus, die - Clausewitz folgend - den Krieg als „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“<br />
definiert. Aus der ausbeuterischen Natur des Kapitalismus ergebe sich seine Neigung<br />
zu Rüstung, Aggression <strong>und</strong> Krieg, während die Arbeiterbewegung seit jeher die<br />
Friedensbewegung par excellence gewesen sei. Daß die Entrüstung über den völkermordenden<br />
Ersten Weltkrieg eine der wichtigsten Triebkräfte des Bolschewismus gewesen<br />
ist, kann man in der Tat nicht bestreiten. Das erste Dekret der Sowjetmacht war das Dekret<br />
über den Frieden, <strong>und</strong> daß speziell in der Sowjetunion, die im Kampf gegen die Armeen<br />
Hitlerdeutschlands 20 Millionen Menschen verlor, die Friedenssehnsucht tiefe Wurzeln<br />
in allen Bevölkerungskreisen hat, wird keiner, der die Verhältnisse einigermaßen<br />
kennt, leugnen wollen. Die Klasseninteressen der Arbeiterklasse bestimmen in der<br />
Selbsteinschätzung der Kommunisten auch den friedlichen Charakter der Außenpolitik<br />
des Sozialismus. Solange zwei Gesellschaftssysteme existierten, sei -besonders unter<br />
den Bedingungen der atomaren Rüstung -ihre friedliche Koexistenz eine Überlebensfrage<br />
<strong>für</strong> die Menschheit <strong>und</strong> keine Frage taktischen Kalküls. Daß man davon ausgeht, daß ein<br />
Klima der Entspannung einer Festigung des Einflusses der Kommunisten im Westen eher<br />
förderlich ist als ein Klima des Kalten Krieges, ist nicht das Hauptmotiv <strong>für</strong> die Entspannungspolitik,<br />
wenn es auch eine der Hoffnungen ist, die man mit dieser Politik verknüpft<br />
hat. Man geht immerhin soweit zu sagen, ein Export der Revolution durch Krieg sei<br />
Wahnsinn <strong>und</strong> Provokation. Die günstige Wirkung des Friedenskampfes auf den weltrevolutionären<br />
Prozeß sieht man darin, daß das Ringen um Entspannung <strong>und</strong> Abrüstung<br />
sich gegen die am meisten reaktionären, die aggressivsten Kräfte des Imperialismus<br />
richtet <strong>und</strong> deren Positionen, das Hauptbollwerk gegen den <strong>soziale</strong>n Fortschritt, schwächen<br />
kann. 20<br />
Man macht sich über die Auswirkungen eines Atomkriegs kaum Illusionen; er würde<br />
nicht nur den Aufbau des Sozialismus erst einmal beenden. Die eigene Rüstung wird fast<br />
ausschließlich in ihrer Schutzfunktion gesehen, sie diene dem Frieden, so wird immer<br />
wieder versichert, weil sie potentielle Aggressoren daran hindere, den Staaten des Sozialismus<br />
jenes Schicksal zu bereiten, das einst Hitler der Sowjetunion bereiten wollte. Die<br />
Rüstung der westlichen Staaten dagegen erscheint immer noch als mögliches Aggressi-<br />
162<br />
18 Vgl. Sagladin 1973, S. 155; MEW 35, S. 358.<br />
19 Internationale Beratung, 1969, S. 36ff.<br />
20 Sagladin, S. 152ff. Vgl. a. Breshnew, Rede auf dem Weltkongreß der Friedenskräfte, 1973.