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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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nicht einfach mit einer Gr<strong>und</strong>frage - im Sinne der Engelsschen Zwei-Lager-Vorstellung -<br />

zu tun, sondern mit epochenspezifischen Gr<strong>und</strong>problemen, in der Neuzeit mit der Frage,<br />

wie zu einem Weltbild zu gelangen sei, „in dem die Innenwelt mit ihrer wahren Wesenheit<br />

<strong>und</strong> die Natur zugleich sicher verankert sind“. 10<br />

Für Steiner ist der Materialismus, wie immer er ihm als schiefes Verhältnis zur Wirklichkeit<br />

erscheint, eine bewußtseinsgeschichtliche Etappe, <strong>für</strong> die sich erkenntnismäßige<br />

<strong>und</strong> <strong>soziale</strong> Bedingungen angeben lassen. Die Gegenüberstellung von Denken <strong>und</strong> Sein,<br />

die „Spaltung der Wirklichkeit in gegebenes Sein <strong>und</strong> Begriff“ 11 ist geschichtliches Produkt,<br />

nicht ursprüngliche ontologische Gegebenheit. Die Organisation des Subjekts<br />

Menschheit hat sich immer mehr so entwickelt, daß zusammenhangloses Wahrnehmungsmaterial,<br />

das von außen gegeben wird, durch die innere Aktivität des Denkwillens<br />

mit Begriffen durchsetzt werden muß, damit überhaupt Erkenntnis <strong>und</strong> damit bewußter<br />

Anteil des Menschen an der Wirklichkeit zustandekommt. Solange sich aber das Denken<br />

nicht auf sich selbst richtet, sondern bei den Gegenständen verweilt, bleibt dem Menschen<br />

dieses schöpferische Moment verborgen, das dem Bewußtsein nur in seinem fertigen<br />

Resultat, dem Wissen, erscheint. Dieses Wissen vermeint zu wissen, daß es sich auf<br />

eine ebenso fertige Wirklichkeit bezieht, weil nicht durchschaut wird, wie <strong>für</strong> das Erkennen<br />

erst „durch die Vereinigung bestimmter beobachteter Bestandteile des Wahrnehmungsbereichs<br />

mit den zu ihnen gehörenden Elementen des Denkbereichs, den Begriffen<br />

[...] solche Gebilde entstehen, auf welche der Begriff ,wirklich‘ anwendbar ist“. 12 Die<br />

Wirklichkeitsbildung vor der menschlichen Erkenntnis, das Produzierend-Sein des Geistes<br />

in der Materie bleibt verschleiert, wenn die Wirklichkeitsbildung in der menschlichen<br />

Erkenntnis verschlafen wird. Der in einer Erkenntnis, die ihrer selbst nicht voll bewußt ist,<br />

begründete Schein der Welt als einer vollendeten Tatsache wird aus solcher eingeschränkten<br />

Erkenntnis heraus aufs Sein projiziert, ontologisiert; das ist das Geheimnis<br />

der materialistischen Konstruktion. Weil das Wissen die Welt immer schon vorfindet, war<br />

die Welt, so sagt es Engels dann auch, von Anfang an da - als Aggregat von Stoffen <strong>und</strong><br />

Kräften, als geist- <strong>und</strong> bewußtlose Materie.<br />

Die <strong>soziale</strong> Wurzel <strong>für</strong> die Verbreitung des Materialismus ist ungewollt von Marx benannt<br />

worden, in der Feststellung: „Die Tätigkeit des Arbeiters, auf eine bloße Abstraktion<br />

der Tätigkeit beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt <strong>und</strong> geregelt durch die Bewegung<br />

der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft, die die unbelebten Glieder der<br />

Maschinerie zwingt, durch ihre Konstruktion zweckmäßig als Automat zu wirken, existiert<br />

nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschinerie als fremde Macht<br />

auf ihn, als Macht der Maschine selbst.“ 13 Noch <strong>für</strong> den mittelalterlichen Handwerker dagegen<br />

ist der geistige Anteil an der körperlichen Arbeit eine Erfahrungstatsache. Er, der<br />

noch das Ganze seiner Produktion überschaut, ist sich unmittelbar bewußt, in der Arbeit<br />

nicht etwa von Materie bewegt zu werden, sondern mit seinen geistgeleiteten Händen<br />

Materie zu bewegen.<br />

Der Proletarier erfährt nicht mehr den Geist, „der die unbelebten Glieder der Maschinerie<br />

zwingt, zweckmäßig als Automat zu wirken“, <strong>und</strong> so muß ihm um so mehr auch die<br />

mannigfaltige Struktur- <strong>und</strong> Bewegungsordnung der Natur als Macht der strukturierten<br />

<strong>und</strong> sich bewegenden Materie selbst erscheinen.<br />

Im Materialismus steckt <strong>für</strong> Steiner aber auch ein gutes Stück Bourgeois-Ideologie,<br />

weshalb er ihn durchaus nicht <strong>für</strong> die den Bestrebungen der Arbeiter angemessene Weltanschauung<br />

hält. Die Verengung des Bewußtseins auf die sinnliche Welt, die man in der<br />

Jagd nach Surplus immer mehr aneignet, deren qualitativer Reichtum unter dem Gesichtspunkt<br />

des Tauschwerts <strong>und</strong> der äußeren Nutzanwendung auf die abstrakte Gleichheit<br />

des Quantums gebracht <strong>und</strong> auf seine berechenbare Dimension reduziert wurde, ist<br />

ein Produkt der bürgerlichen Epoche. 14 Wenn das Bürgertum die Prämissen seiner eigenen<br />

Bewußtseinsverfassung nicht radikal zuende dachte, dann in der Tat aus jenen Momenten<br />

heraus, die Marx als Herrschafts- <strong>und</strong> Opiatfunktion der Religion einseitig zwar,<br />

aber richtig diagnostizierte.<br />

Die Frage nach der Schöpfung <strong>und</strong> dem Schöpfer ist <strong>für</strong> Steiner weder ein Problem<br />

des Verhältnisses von Philosophie <strong>und</strong> kirchlicher Dogmatik noch ein solches philosophischer<br />

Spekulation; denn die Suche nach den Gottesbeweisen sieht er als ein bewußt-<br />

42<br />

10 ibd. 27.<br />

11 GA 3, S. 115.<br />

12 Witzenmann 1978, S. 14.<br />

13 Marx, Gr<strong>und</strong>risse, S. 584.<br />

14 Vgl. z.B. GA 171, S. 247f.

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