Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Pädagogische Konzepte - Ein Ausblick<br />
In dieser Arbeit war häufiger von der Notwendigkeit eines Dialogs die Rede. Ein besonders<br />
interessantes Feld da<strong>für</strong> dürfte die Pädagogik sein. Für beide, <strong>Marxismus</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Anthroposophie</strong>, ist die Erziehungsfrage eine <strong>soziale</strong> Frage, beide betonen die Rolle der<br />
Praxis <strong>für</strong> das Lernen, sprechen von allseitiger Ausbildung der Persönlichkeit. Auf der<br />
anderen Seite stoßen gerade auf dem Feld der Pädagogik die unterschiedlichen Menschenbilder<br />
besonders deutlich aufeinander.<br />
Die Waldorfpädagogik ist das mit am meisten entwickelte Praxisfeld der <strong>Anthroposophie</strong>.<br />
Sie hat eine erhebliche Ausstrahlungskraft gewonnen, sind doch ihre Erfolge - besonders<br />
vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Defizite des öffentlichen Bildungswesens in westlichen<br />
Ländern <strong>und</strong> der Krise seiner Reform - unverkennbar. In den sozialistischen Ländern gibt<br />
es bisher kaum zureichende Informationen über die Waldorfpädagogik - das Fehlen von<br />
Schulen in freier Trägerschaft macht sich hier bemerkbar. Das bedeutet nicht, daß man<br />
nicht pädagogische Trends in aller Welt aufmerksam zu verfolgen versucht; auch ist ein<br />
gewisser Spielraum <strong>für</strong> pädagogische Modellversuche durchaus vorhanden, so begrenzt<br />
er immer sein mag. Es gibt Anzeichen da<strong>für</strong>, daß z.B. in der Sowjetunion ein latentes<br />
Interesse <strong>für</strong> die Waldorfpädagogik vorhanden ist, <strong>und</strong> zwar auch innerhalb der offiziellen<br />
Pädagogik, eher jedenfalls als in der akademischen Pädagogik etwa der angelsächsischen<br />
Länder. 1<br />
Man vergißt manchmal, daß Rudolf Steiner der Meinung war, Elemente seiner Pädagogik<br />
könnten durchaus nach <strong>und</strong> nach auch in das allgemeine Schulwesen einfließen,<br />
die Waldorfpädagogik habe keinen exklusiven Charakter. 2<br />
Selbstverständlich war dabei stillschweigend unterstellt, daß nicht einzelne Aspekte<br />
herausgegriffen <strong>und</strong> <strong>für</strong> einer Erziehung zur Freiheit unangemessene Erziehungsziele<br />
umfunktioniert werden dürften. Man kann dies durchaus im Auge behalten <strong>und</strong> trotzdem<br />
der Meinung sein, daß in der Pädagogik am ehesten unmittelbare fruchtbare praktische<br />
Auswirkungen eines Dialogs denkbar sind. Dies gilt natürlich <strong>für</strong> beide Seiten: so wenig<br />
dem <strong>Marxismus</strong> ein Ignorieren der Waldorfpädagogik gut ansteht, so wenig sollte diese<br />
darauf verzichten, die Erfahrungen der sozialistischen Arbeitsschule mitzubedenken. Und<br />
die Auseinandersetzung mit dem <strong>Marxismus</strong> ist sicher auch geeignet, innerhalb der Waldorfschulbewegung<br />
die Besinnung auf die eigenen Wurzeln in einer gesamtgesellschaftlichen<br />
Erneuerungsbewegung zu fördern.<br />
Das Feld der pädagogischen Theorie <strong>und</strong> Praxis ist umfangreich genug, um Stoff <strong>für</strong><br />
eine eigene ausgedehnte Untersuchung zu bieten. Hier ist nur ein Ausblick möglich, eine<br />
grobe Skizze der beiden Bildungkonzeptionen <strong>und</strong> ihrer Entstehung.<br />
Für die Marxisten gilt auch <strong>für</strong> das Erziehungs- <strong>und</strong> Bidungswesen die Basis-Überbau-<br />
Lehre: D.h. daß man Erziehung in einem Verhältnis der Entsprechung zu den ökonomischen<br />
Strukturen sieht. Im Kapitalismus sieht man so die Bildungsschancen der breiten<br />
Masse prinzipiell begrenzt durch die profitorientierte Ordnung: Das Verwertungsinteresse<br />
des Kapitals bestimmt Umfang <strong>und</strong> Grenzen der Qualifikation: das Bildungssystem weist<br />
daher die verschiedensten <strong>soziale</strong>n Barrieren <strong>und</strong> Abstufungen auf. Unter den Bedingungen<br />
der wissenschaftlich-technischen Revolution, so die marxistische Auffassung, wachsen<br />
die Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Werktätigen <strong>und</strong> an ihre berufliche<br />
Flexibilität. Das Kapital muß daher mehr Bildung gewähren, versucht die Kosten<br />
da<strong>für</strong> aber über den Staatshaushalt auf die Allgemeinheit zu überwälzen. Überhaupt sieht<br />
man die Rolle des kapitalistischen Staates in der Bildung vor allem unter diesem ökonomischen<br />
Aspekt.<br />
Diese Analyse führt zu der Überzeugung, daß die Hauptaufgabe <strong>für</strong> die Durchsetzung<br />
eines den Interessen der arbeitenden Menschen an umfassender Bildung dienenden<br />
Ausbildungssystems die Erkämpfung des Sozialismus ist. Das heißt aber weder, daß<br />
man vor der sozialistischen Revolution einen Kampf <strong>für</strong> Reformen dieses Systems als<br />
sinnlos ansieht, noch, daß man nach der sozialistischen Revolution die Lösung der Bildungsfrage<br />
schlicht im Selbstlauf <strong>für</strong> möglich hält. Was das letzte angeht, so erachtet<br />
man eine „Kulturrevolution“ - freilich nicht im Sinne der maoistischen Kulturrevolution der<br />
60er Jahre - <strong>für</strong> einen notwendigen Schritt des sozialistischen Aufbaus.<br />
1 Vgl. Wilenius 1983.<br />
2 Vgl. GA 305, S. 149; GA 307, S. 246