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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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als Produkt seiner eigenen Arbeit, nicht nur an der Natur, sondern auch an sich selbst,<br />

durch verschiedene Biographien hindurch. Die bestimmte geistige Gestalt des Menschen<br />

muß als Produkt seiner eigenen Arbeit begriffen werden: d.h. sie kann nicht von der Beschaffenheit<br />

der stofflichen Keime herrühren, <strong>und</strong> auch nicht allein von den Prägungen<br />

des Milieus, denn es ist ein in sich bestimmtes Seelisch-Geistiges, das die Wechselwirkung<br />

mit dem Milieu eingeht, keine tabula rasa. Ich muß also die Arbeit an mir vor meiner<br />

Geburt aufgenommen haben, aber meine Präexistenz kann ich nicht als rein geistige<br />

denken: „Was aus der physischen Umgebung bestimmend <strong>für</strong> die Menschenseele ist,<br />

das ist so, daß es wirkt wie ein im physischen Leben Erfahrenes auf ein früher in gleicher<br />

Art Erfahrenes.“ 46 D.h. es äußert sich als Fähigkeit zu einer bestimmten Tat, als Geschicklichkeit<br />

zu einer bestimmten Verrichtung.<br />

Dem Reinkarnationsgedanken gemäß erscheint der Geist in einer Biographie als Wiederholung<br />

seiner selbst mit den Früchten der vergangenen Erdenleben. Diese Früchte<br />

sind in der Zeitspanne zwischen dem Tod <strong>und</strong> einer neuen Geburt gereift, in der die Erfahrungen<br />

der vergangenen Biographie vom Menschen im Verein mit den höheren Wesen<br />

der geistigen Welt in Fähigkeiten <strong>für</strong> die künftige Biographie, in die Keimanlage <strong>für</strong><br />

ein neues Leben umgebildet werden. Bei der Inkarnation spielt das Milieu <strong>und</strong> die Eignung<br />

der physischen Anlagen, die ein bestimmtes Elternpaar zur Verfügung stellen kann,<br />

eine wichtige Rolle, hängt es doch davon mit ab, ob <strong>und</strong> wie die Individualität ihre Lebensziele<br />

erreichen kann: So betrachtet, ist die Inkarnation der Johann-Sebastian-Bach-<br />

Individualität in einer Musikerfamilie durchaus kein Argument <strong>für</strong> die physische Vererbtheit<br />

seines Genies. 47 Auf dem Erdenschauplatz trifft der Mensch in dieser oder jener Form<br />

mit den Folgen der Taten der vergangenen Biographie zusammen. Der Reinkarnationsgedanke<br />

bedeutet, daß sich das Subjekt nicht nur im unmittelbaren Sinne in dem Objekt<br />

der Arbeit vergegenständlicht, sondern auch in den äußeren <strong>und</strong> inneren Bedingungen,<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Hindernissen seiner künftigen Existenz. Seine Taten treten ihm nun<br />

als gleichsam objektivierte Mächte gegenüber, eben als Schicksal. 48<br />

Was Steiner zur „Technik des Karma“ sagt <strong>und</strong> schreibt, zu den nachtodlichen<br />

Schicksalen der Menschen, zu einer - durchaus nicht im spiritistischen Sinne zu denkenden<br />

- Wechselwirkung zwischen der Welt der Lebenden <strong>und</strong> der der Toten, über das<br />

Hineinspielen höherer geistiger Wesenheiten in den Lebenslauf, dies alles kann hier nicht<br />

weiter behandelt werden. Nur dies soll noch einmal betont werden, daß Steiner den Reinkarnationsgedanken<br />

mit dem christlichen Gr<strong>und</strong>impuls, der geistigen Gemeinschaft<br />

aller Menschen, unzertrennlich zusammenhängend denkt: Indem der Mensch in verschiedenen<br />

Epochen <strong>und</strong> Kulturkreisen, abwechselnd als Mann <strong>und</strong> Frau, einmal in dieser,<br />

einmal in jener Rasse <strong>und</strong> Nation sich inkarnierend aufgefaßt wird, erscheinen jene<br />

die Menschheit differenzierenden Bestimmungen als die unwesentlicheren, nicht den<br />

eigentlichen Kern des Menschlichen betreffend: die im Ich gegebene Selbstidentität. Dieses<br />

„Ich-bin“ im jeweils anderen zu achten, den Menschen um seiner selbst willen zu<br />

lieben, ist aber das Wesentliche des Christentums. Deshalb erschien Steiner die Verbindung<br />

von Christentum <strong>und</strong> Reinkarnationsgedanke so entscheidend.<br />

Man hat gegen den Reinkarnationsgedanken oftmals eingewandt, man erinnere sich<br />

doch nicht an vergangene Leben. Dem könnte man entgegnen, man erinnere sich auch<br />

so gut wie nicht an seine ersten drei Lebensjahre, oder an seine Embryonalzeit. So wie<br />

das Vergessen der vielen einzelnen Verrichtungen, die man hat vornehmen müssen, um<br />

das Schreiben zu erlernen, eine Bedingung da<strong>für</strong> ist, daß man diese Kunst jetzt beherrscht<br />

- müßte man sich mühsam an alle Details erinnern, könnte man nicht flüssig<br />

schreiben -, so ist in gewissem Maß das Vergessen der Erfahrungen des vergangenen<br />

Lebens eine Voraussetzung da<strong>für</strong>, daß sie in Fähigkeiten verwandelt im jetzigen Leben in<br />

Erscheinung treten können. Das bedeutet aber nicht, daß diese überbewußte Quelle der<br />

Tätigkeit nicht von einem durch entsprechende Übung erweiterten Bewußtsein erreichbar<br />

ist. Steiner ist auch der Meinung, die menschliche Bewußtseinsentwicklung werde zu<br />

einem Zustand führen, in dem Rückerinnerungen an vergangene Leben das Normale<br />

sein werden. 49<br />

Steiner betont die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte, aber nicht so, daß nur<br />

die besondere, die geniale Persönlichkeit beachtet würde. Auch faßt er die Rolle der Persönlichkeit<br />

nicht im subjektiv-idealistischen Sinne auf, der keinen Raum läßt <strong>für</strong> ge-<br />

195<br />

46 GA 9, S. 58.<br />

47 Vgl. GA 283, Vortr. 26.11.1906.<br />

48 Vgl. in GA 9, besonders S. 67 f.<br />

49 GA 166, s. Vortrag.

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