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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Wirtschaften hinein. Beides darf also nicht nach kommerziellen Gesichtspunkten behandelt<br />

werden. Einen Handel mit Rechten, wie er bei der Bodenspekulation stattfindet, darf<br />

es unter ges<strong>und</strong>en Verhältnissen nicht geben.<br />

Der <strong>Marxismus</strong> hat das Feuer seiner Kritik gegen das kapitalistische Privateigentum<br />

an den Produktionsmitteln gerichtet. Die Alternative war in der Praxis ein bürokratisches<br />

System, das jetzt mühsam einem Umbau unterzogen werden muß. Steiners Sicht der<br />

Dinge ist differenzierter: Nicht die Verfügung unternehmerischer Intelligenz über die Produktion<br />

ist schädlich, im Gegenteil, sie nur führt dazu, daß Unternehmensgeist nicht erlahmt.<br />

Das Kapital dient diesem Unternehmensgeist. Seine Früchte dürfen nicht der privaten<br />

Aneignung unterliegen, vielmehr ist eine Art Kreislaufeigentum nötig, bei dem Kapitalien<br />

jeweils an die Fähigsten als Treuhänder der Gesellschaft übertragen werden.<br />

Daneben gibt es eine Art ideelles Miteigentum aller Mitarbeiter, das unter anderem dazu<br />

führt, daß Betriebe nicht einfach verkauft <strong>und</strong> zu Spekulationsobjekten gemacht werden<br />

können. 63<br />

Das eigentliche Wirtschaftsleben soll „assoziativ“ gestaltet werden: Assoziative Wirtschaft<br />

bedeutet, daß die Ökonomie nicht zentralistisch-politisch „verwaltet“ werden soll,<br />

sondern durch eine Mannigfaltigkeit assoziativer Zusammenhänge gesteuert werden<br />

sollte, die auf Verträgen über Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung beruhen. Kartell- <strong>und</strong> trustartige<br />

Zusammenschlüsse sind ein Indikator <strong>für</strong> die Notwendigkeit der Assoziation, insofern<br />

sie den „reinen Markt“ der wirtschaftsliberalistischen Ideologie beseitigen. Sie sind aber<br />

nur ein Zerrbild des Notwendigen, denn in ihnen dominiert der Kampf um Marktanteile<br />

<strong>und</strong> nicht das Bedarfsdeckungsprinzip. Entscheidende Aufgaben der Assoziationen sind<br />

eine gerechte Preisbildung, die Beobachtung der wirtschaftlichen Trends <strong>und</strong> die darauf<br />

fußende Vorbeugung gegen Fehlentwicklungen, ein bewußtes <strong>und</strong> aktives Hinarbeiten<br />

auf die notwendige Proportionalität <strong>und</strong> Verhandelungen über die richtige Verteilung der<br />

Arbeitskräfte auf die Branchen. Die Assoziation soll Transparenz <strong>und</strong> Vertrauen bewirken,<br />

ein lebendiges Miteinander, einen wahrhaften „Mutualismus“ (Proudhon) bewerkstelligen.<br />

Für Rudolf Steiner ist Marx' Basis-Überbau-Lehre eine Teilwahrheit - als solche auch<br />

nur gültig <strong>für</strong> die Neuzeit, einer Zeit, in der alle Aufmerksamkeit vom wirtschaftlichen Getriebe<br />

absorbiert wird, alle gesellschaftlichen Bereiche einschließlich von Bildung <strong>und</strong><br />

Wissenschaft immer mehr ökonomisiert werden <strong>und</strong> in der das Kulturleben zum bloßen<br />

Anhängsel des Ganzen wird. 64 Für Steiner ist dieser Zustand, wie <strong>für</strong> die Denker der<br />

Frankfurter Schule, kein bloß ökonomisch erklärbarer <strong>und</strong> „reparabler“, sondern es handelt<br />

sich um ein Phänomen, das symptomatisch ist <strong>für</strong> eine umfassende Zivilisations- <strong>und</strong><br />

Bewußtseinskrise. Der reflexhafte Charakter von gesellschaftlichem Bewußtsein ist ein<br />

Ausdruck der Vereinseitigung des gesellschaftlichen Lebensprozesses. Doch die Einsicht<br />

in die „Dialektik der Aufklärung“ mündet bei Rudolf Steiner nicht in einen allgemeinen<br />

Kulturpessimismus <strong>und</strong> Ratlosigkeit in bezug auf praktische Alternativen. Seine Lösung<br />

besteht vielmehr darin, die reduzierte aufklärerische Ratio über sich hinauszutreiben.<br />

Ausdrücklich schließt er an Kants bekanntes „Sapere aude“ an <strong>und</strong> wandelt diese aufklärerische<br />

Devise so um, daß sie nun lautet: Habe Mut, dich deines Denkens als eines<br />

Hellseherorgans zu bedienen! 65 In seiner „Philosophie der Freiheit“ beschreibt Steiner<br />

exakt jenen von Jürgen Habermas gesuchten Quellpunkt emanzipatorischer Vernunft,<br />

den Punkt, wo Vernunft <strong>und</strong> Wille sich dekken: In moralischer Intuition, Phantasie <strong>und</strong><br />

Technik wird Vernunft praktisch, ohne dabei zur Fremdbestimmtheit <strong>und</strong> Instrumentalität<br />

verurteilt zu sein.<br />

Wie <strong>für</strong> Georg Lukács ist <strong>für</strong> Steiner die Determination des Subjekts durch das Objekt<br />

eine aufzuhebende Verkehrung, die jedoch nicht als kollektive Aktion, sondern nur als die<br />

Gemeinschaftsbildung durch die freiheitsfähigen Individuen denkbar ist. Wie Karl Korsch<br />

<strong>und</strong> andere betont Steiner die „tätige Seite“: Erkenntnis ist keine Widerspiegelungsrelation,<br />

sondern die Wahrheit ist Freiheitstat. Jedoch löst Steiner anders als marxistische<br />

Kritiker der Widerspiegelungstheorie nicht etwa Denken <strong>und</strong> Erkenntnis in Praxis auf.<br />

Vielmehr soll die tätige Seite im Erkenntnisprozeß selbst so zur Entfaltung gebracht werden,<br />

daß das Handeln aus Erkenntnis <strong>und</strong> damit die Vergeistigung <strong>und</strong> Befreiung der<br />

63 Einschneidende Konsequenzen ergeben sich auch <strong>für</strong> die Neuordnung des Geldwesens. Es sei hierzu<br />

auf den in Vorbereitung befindlichen Band III der in Stuttgart erscheinenden Reihe „Sozialwissenschaftliches<br />

Forum“ zu dieser Thematik verwiesen.<br />

64 Vgl. Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, GA 28, Dornach 1982, S. 376f.<br />

65 Zur sozialwissenschaftlichen Bedeutung eines solcherart imaginativ, inspirativ <strong>und</strong> intuitiv erweiterten<br />

Bewußtseins s. Dietrich Spitta, Nachwort in, Soziale Frage <strong>und</strong> <strong>Anthroposophie</strong>. Rudolf Steiner Themen aus<br />

dem Gesamtwerk, Band 13, ausgewählt <strong>und</strong> herausgegeben von Dietrich Spitta, Stuttgart 1985, S. 292ff.<br />

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