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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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Die Kapitalneutralisierung muß begleitet sein von einer neuen Einkommensordnung<br />

<strong>und</strong> einer weitgehenden Einbeziehung aller Mitarbeiter in die betriebliche Beratung <strong>und</strong><br />

Selbstverwaltung. Objektiver Altruismus oder „Sozialismus“ ist <strong>und</strong>enkbar ohne Aufhebung<br />

der Lohnarbeit. Steiner stellt die Frage jedoch anders als Marx: Nicht darauf könne<br />

das „Bestreben gerichtet sein, den Wirtschaftsprozeß so umzugestalten, daß in ihm die<br />

menschliche Arbeitskraft zu ihrem Recht kommt, sondern darauf: wie bringt man diese<br />

Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozeß heraus, um sie von <strong>soziale</strong>n Kräften bestimmen<br />

zu lassen, die ihr den Warencharakter nehmen.“ 47 Einkommensbemessung soll nach Gesichtspunkten<br />

des Rechtslebens erfolgen, d.h. daß darüber, soweit nicht schon Regelungen<br />

durch die Rahmengesetzgebung des betreffenden Staatswesens demokratisch getroffen<br />

sind, die „Mitarbeiter innerhalb eines Arbeitszusammenhangs gleichermaßen“<br />

mitsprechen, (was nicht unbedingt heißen soll, daß jeder gleichviel mit nach Hause tragen<br />

soll).“<br />

Durch die Trennung von Arbeit <strong>und</strong> Einkommen soll die Motivation zur Arbeit immer<br />

stärker - im Sinne des <strong>soziale</strong>n Hauptgesetzes - vom Gelderwerb abgekoppelt, andererseits<br />

ein Recht auf Einkommen unabhängig von konjunkturbedingter Auslastung der Betriebe<br />

etabliert werden. Zeitweiliges Einkommen ohne Arbeit in einem könnte so zeitweilige<br />

Arbeit ohne Einkommen in einem anderen Bereich - etwa freiwilligen Einsatz im <strong>soziale</strong>n<br />

Sektor - absichern. Indem die Kosten dieser das bisherige System der Arbeitslosenversicherung<br />

ablösenden Einkommenssicherung auf alle Betriebe gerecht umgelegt würden,<br />

entfiele der „Anreiz“ zur Einsparung von Arbeitskräften aus Profitgründen. Das Problem<br />

der internationalen Konkurrenzfähigkeit begrenzt natürlich den Spielraum der Wirtschaft,<br />

solange eine ökonomische Neuordnung nur in einem oder einigen Ländern stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat. Die praktischen Ansätze, die es in anthroposophischen Einrichtungen in<br />

der Frage der Einkommensordnung bereits gibt, <strong>und</strong> auch die Meinungsunterschiede<br />

unter Anthroposophen über diese Frage können hier nicht behandelt werden. 48<br />

Entscheidend ist, daß die Verbindung von Kapitalneutralisierung, Einkommensordnung,<br />

Beteiligung der Mitarbeiter an Beratung <strong>und</strong> Selbstverwaltung mit der Realisierung<br />

des Prinzips der Assoziation, darauf zielt, im dreigliedrigen <strong>soziale</strong>n Organismus den<br />

Klassenkampf um Lohn <strong>und</strong> Leistung durch die Beseitigung seiner Ursachen aufzuheben.<br />

Denn es würden sich letztlich nicht gegenüberstehen Lohnarbeiter <strong>und</strong> Kapitalist,<br />

sondern einfach „Arbeitsleiter“ <strong>und</strong> „Arbeitsleister“, wobei gesamtgesellschaftlich sichergestellt<br />

sein soll, daß individuelle Fähigkeiten <strong>und</strong> nicht der väterliche Geldbeutel darüber<br />

entscheidet, wer mehr im WI- <strong>und</strong> wer mehr im WII-Bereich seinen beruflichen Schwerpunkt<br />

findet. Arbeitsleiter <strong>und</strong> Arbeitsleister werden einfach vertraglich festlegen, d.h. aus<br />

rechtlichen Gesichtspunkten heraus bestimmen, welcher Teil des gemeinsam Geschaffenen<br />

dem individuellen Konsum zufließen <strong>und</strong> wie der Anteil jedes einzelnen an diesem<br />

Teil sein soll. Diese Aufteilung ist kein Tauschgeschäft, daher ist nur die Geltendmachung<br />

von Bedürfnissen entscheidend, wobei natürlich der Umfang des überhaupt Verteilbaren<br />

darüber entscheidet, was aus der Rangliste der Bedürfnisse Berücksichtigung finden<br />

kann <strong>und</strong> was nicht. Der Arbeitsleiter mag mehr beanspruchen, er muß dies aber im Prinzip<br />

ebenfalls vom Bedarf her legitimieren, insofern hat er kein Vorrecht mehr. - Daß in der<br />

Praxis unberechtigte Einkommensunterschiede nicht von heute auf morgen abzubauen<br />

sind - vor allem nicht überall -, daß materielle Interessiertheit als Arbeitsmotivation nur in<br />

einem längeren Prozeß an Bedeutung verlieren kann, daß vor allem die Entwicklung vom<br />

Haben- zum Gebenwollen dem einzelnen nicht administrativ verordnet werden darf, dürfte<br />

Steiner nur zu bewußt gewesen sein. Vor allem kann der dreigliedrige <strong>soziale</strong> Organismus<br />

nicht allen Unternehmungen ein identisches Modell aufzwingen; er muß es den<br />

innerbetrieblichen Willensbildungsprozessen überlassen, in welchem Tempo, welchem<br />

Umfang <strong>und</strong> welcher konkreten Form im einzelnen die Trennung von Arbeit <strong>und</strong> Einkommen<br />

verwirklicht wird. 49<br />

Insgesamt dürfte sich die Entwicklung in Richtung einer Unternehmensstruktur bewegen,<br />

die man mit H. Witzenmann durch den Begriff des Gegenstromprinzips charakterisieren<br />

kann. Dieses Prinzip stellt die Steigerung ökonomischer Effektivität des Unternehmens<br />

<strong>und</strong> die Erhöhung der Selbstverwirklichungschancen der Arbeitenden nicht als<br />

Gegensätze einander gegenüber, sondern behandelt sie als zwei aufeinander bezogene<br />

<strong>und</strong> immer neu miteinander in Einklang zu bringende Unternehmensziele, wobei die Ef-<br />

47 GA 23, S. 43f.<br />

48 Näheres z.B. bei Giese (Hg.) 1980. Zum Vorangehenden vgl. Lindenau, Keimkräfte, 1983. Weniger diskutiert<br />

wurden bisher solche Fragen wie Arbeitsrecht, Rolle der Gewerkschaften, Fragen der Arbeitszeitverkürzung<br />

usw. Zu letzterem vgl. bei Leber 1984 <strong>und</strong> GA 330, S. 36.<br />

49 Vgl. GA 23, S. 108.<br />

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