Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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ners Diagnose aus dem Überlappen der Gesichtspunkte des wirtschaftlichen Lebens in<br />
die aus dem Rechtlichen heraus zu gestaltende Arbeitsordnung <strong>und</strong> die aus dem Geistigen<br />
heraus zu gestaltende Kapitalverwaltung erwächst.<br />
Marx wird des Geistursprungs des Kapitals nicht inne, weil er ihn unter den Überlagerungen,<br />
die wir geschildert haben, nicht zu entdecken vermag. Den Fetischismus, der den<br />
Sachwerten <strong>und</strong> dem Geld wertschöpferische Kraft zuerkennt, durchbricht er nur <strong>für</strong> den<br />
WI-Bereich (Anwendung von Arbeit auf Natur), in bezug auf den WII-Bereich (Anwendung<br />
des lebendigen geistigen Vermögens auf die Arbeit) kommt er über Ansätze des Begreifens<br />
nicht hinaus. Weil er die Deformationen der Kapitalbildungsprozesse mit dem Kapital<br />
als solchem identifiziert, neigt er der Auffassung zu, die zukünftige Ökonomie werde überhaupt<br />
keine Händlerfunktion, kein Geld, keine Preise usw. mehr kennen, da dann die<br />
individuellen Arbeiten nicht mehr auf dem Umweg des Tauschwerts, sondern unmittelbar<br />
als Bestandteil der Gesamtarbeit existieren. Für eine Übergangsperiode denkt er an ein<br />
Bezugsscheinsystem, während man heute immerhin <strong>für</strong> diese Übergangsperiode noch<br />
der Ware-Geld-Beziehung eine wesentliche, wenn auch gegenüber dem Kapitalismus<br />
veränderte Rolle zuerkennt. 39 Joseph Huber urteilt: „Mit der mechanischen Abschaffung<br />
des Privateigentums tendiert der <strong>Marxismus</strong> dazu, wirtschaftliche Initiativen überhaupt zu<br />
ersticken, es sei denn, sie gingen von den bürokratischen Zentren aus. Anthroposophen<br />
dagegen sehen die Notwendigkeit der Selbstverwaltung, jeweils von der individuellen bis<br />
zur gesamtgesellschaftlichen Ebene. Während der <strong>Marxismus</strong> mit dem Kapitalisten den<br />
unternehmerischen Geist überhaupt aus der Welt verbannt [...], sehen Anthroposophen<br />
die Notwendigkeit <strong>für</strong> alle im Wirtschaftsleben tätigen Menschen, ihren Unternehmungsgeist<br />
gemeinschaftlich <strong>und</strong> verantwortlich auszuleben.“ 40<br />
Wie hält es Steiner nun mit dem Mehrwert? Auch wenn Marx sagt, der Mehrwert bestehe<br />
aus der unbezahlten Arbeit der Arbeiter, so meint er damit nicht, der gesamte<br />
Mehrwert sei als Lohn auszuschütten, vielmehr kritisiert er die Phrase vom Recht auf den<br />
„unverkürzten Arbeitsertrag“ im von Lassalleschen Ideen beeinflußten Programm der<br />
Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Ein Teil dieses Ertrags müsse notwendig<br />
zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel <strong>und</strong> zur Ausdehnung der Produktion, <strong>für</strong><br />
Verwaltungskosten, Reserve <strong>für</strong> Notfälle, <strong>für</strong> Bildungs-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> andere Sozialfonds<br />
verausgabt werden <strong>und</strong> stehe daher <strong>für</strong> die individuellen Einkommen nicht zur Verfügung.<br />
41 In Steinerschen Termini bedeutet das schlichtweg, daß ein Teil des Mehrertrags<br />
im Wirtschaftsleben verbleiben, ein anderer dem Rechtsleben <strong>und</strong> dem Geistesleben (zu<br />
dem z.B. Bildungs- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen gehören) zufließen muß. Dabei hat nur der<br />
dem Staat zufließende Teil den Charakter von Steuer, während das Geistesleben durch<br />
„Schenkungsgeld“ - Steiner unterscheidet außerdem noch Kaufgeld <strong>und</strong> Leihgeld - finanziert<br />
werden muß. 42<br />
Der echte Mehrwert kann in einem Unternehmen nur im Zusammenwirken des WI- mit<br />
dem WII-Bereich geschaffen werden: Handarbeiter, Meister, Ingenieur, kaufmännischer<br />
Angestellter, Manager, sie alle sind an seiner Erzeugung beteiligt, aber eben nicht nur<br />
sie, sondern auch die längst verstorbenen Erfinder, von deren Entdeckungen die Produzenten<br />
mit Vorteil Gebrauch machen. 43 Schon der letzte Gedanke würde ausreichen, um<br />
das Konzept einer Einkommensbildung als ,angemessene Honorierung‘ des ,meßbaren‘<br />
Beitrags der Produzenten zur Gesamtarbeit ad absurdum zu führen: Auf welches Konto<br />
sollte man denn auch Leibniz, Archimedes oder anderen Geistesgrößen das Honorar<br />
überweisen? Die Vorstellung des Einkommens als Bezahlung der eigenen Leistung entstammt<br />
selbstversorgerischen Vorstellungen <strong>und</strong> ergibt allenfalls <strong>für</strong> Verhältnisse zwischen<br />
kleinen Warenproduzenten noch einen nachvollziehbaren Sinn. Der Teilarbeiter<br />
arbeitet keine Ware mehr allein fertig, <strong>und</strong> nur Waren kann man legitimerweise verkaufen.<br />
Zustimmend zitiert Marx Th. Hodgskin mit der Bemerkung: „Es gibt aber nichts mehr<br />
(unter den Bedingungen der Arbeitsteilung in der Manufaktur, CS), was man als den natürlichen<br />
Lohn der Arbeit eines einzelnen bezeichnen könnte. Jeder Arbeiter erzeugt nur<br />
einen Teil eines Ganzen, <strong>und</strong> da jeder Teil <strong>für</strong> sich allein ohne Wert <strong>und</strong> Nutzen ist, gibt<br />
es nichts, was der Arbeiter nehmen <strong>und</strong> wovon er sagen könnte: Das ist mein Erzeugnis,<br />
das will ich <strong>für</strong> mich behalten.“ 44<br />
153<br />
39 Vgl. bei Marx MEW 19, S. 19ff.<br />
40 Huber 1979, S. 157.<br />
41 MEW 19, S. 19.<br />
42 Vgl. in GA 340 <strong>und</strong> GA 28.<br />
43 Vgl. GA 340, S. 71.<br />
44 MEW 23, Anm. zu S. 376.