Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ei aller Gegensätzlichkeit ein gewisser Berührungspunkt mit der <strong>Anthroposophie</strong>, <strong>für</strong> die<br />
der Geist nichts schlechterdings Erfahrungstranszendentes, sondern etwas sich in der<br />
Erfahrungswelt mit ihren Qualitäten Manifestierendes ist.<br />
Historische Mission der Arbeiterklasse<br />
Marx ringt um seinen eigenen Standpunkt: Er greift dabei die dialektische Methode<br />
Hegels auf <strong>und</strong> versucht zugleich, den Hegelschen „Idealismus“ zu überwinden, den materialistischen<br />
Kern in der idealistischen Hülle zu finden. „Das Große an der Hegelschen<br />
'Phänomenologie'„, schreibt er, „... ist also einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des<br />
Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung,<br />
als Entäußerung <strong>und</strong> als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der<br />
Arbeit faßt <strong>und</strong> den Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner<br />
eignen Arbeit begreift.“ 10 Hegel tut das vor allen Dingen in den Passagen über die Dialektik<br />
von Herrschaft <strong>und</strong> Knechtschaft, wo entwickelt wird, wie der Knecht ein höheres Bewußtsein<br />
durch die Arbeit an den Dingen erreicht, wie der Herr durch seine Rolle in der<br />
Gesellschaftsorganisation passiv <strong>und</strong> abhängig wird, während sich der Knecht durch die<br />
Formung der Dinge selbst formt <strong>und</strong> so zur Selbständigkeit kommt.<br />
Marx greift Hegels Subjekt-Objekt-Dialektik auf <strong>und</strong> wendet das Ganze so, daß bei<br />
ihm nun nicht mehr der Geist durch Arbeit zu sich selbst, sondern der konkrete Mensch<br />
durch Arbeit zu Geist kommt. Dem Gewinn an Konkretheit steht gegenüber der gänzliche<br />
Verlust des menschlichen Ich. Verliert ein Max Stirner in seiner Variante der Hegel-Kritik<br />
das Gesellschaftliche aus dem Blick, die <strong>soziale</strong>n Zusammenhänge, so Marx die Dimension<br />
des ichhaften Selbstbewußtseins. Dieses wird zwar nicht gänzlich geleugnet, wohl<br />
aber seiner Seinsgeltung beraubt: Der Kern der Marxschen Hegel-Kritik besteht darin,<br />
daß Hegel vorgeworfen wird, er begreife nicht, daß der Mensch ein gegenständliches<br />
Wesen <strong>und</strong> damit wesentlich gegenständlich, also leiblich-physisch ist.<br />
Marx hat seine Kritik an Hegel zum ersten Mal im Bereich des Staatsrechts entwickelt.<br />
11 Er kritisiert den Hegelschen Staatsbegriff als Ausdruck des „entfremdeten Gattungswesens“,<br />
als Ausdruck einer bloß fiktiven Gemeinschaftlichkeit. Er sagt sinngemäß:<br />
Bei Hegel gibt es einen Dualismus zwischen bürgerlicher Gesellschaft <strong>und</strong> Staat. In der<br />
bürgerlichen Gesellschaft ist jeder ein Egoist <strong>und</strong> folgt seinen egoistischen Motiven, <strong>und</strong><br />
ein gemeinschaftliches Wesen ist der Mensch da eigentlich nur als Staatsbürger. Dieser<br />
Zustand ist ein Zustand der Entfremdung, <strong>und</strong> ein nicht entfremdeter, ein menschlicher<br />
Zustand müßte darin bestehen, daß der Mensch in seinem alltäglichen Leben ein Gemeinschaftswesen<br />
wird. Die Freisetzung des wirklichen Gattungswesens des Menschen,<br />
wobei Gattung im Sinne von Gemeinschaftsfähigkeit, natürlicher Sozialität verstanden<br />
wird, das ist <strong>für</strong> Marx die Bedingung der Aufhebung von Entfremdung. Marx kritisiert, daß<br />
bei Hegel Widersprüche nur in Gedanken aufgelöst werden, während sie in der Realität<br />
stehenbleiben. Und er übernimmt Feuerbachs Kritik der religiösen Entfremdung. Marx<br />
denkt dies weiter: Religion ist nichts an sich Existierendes, sondern bloßer Ausdruck<br />
irdischer Entfremdung. Diese gilt es zu kritisieren. Und diese irdische Entfremdung besteht<br />
in der Realität der entfremdeten Arbeit: Das Elend der Menschheit gipfelt auf in der<br />
Situation der Arbeiterklasse.<br />
Hegel hatte gelehrt, daß sich die Vernunft in der Geschichte realisiert, daß die Geschichte<br />
die Arbeit des Weltgeistes ist, durch die er zur Selbsterkenntnis kommt. Marx<br />
stellt Hegel „auf die Füße“ <strong>und</strong> lehrt, daß „Vernunft“ sich als bloße Idee „immer blamiert“,<br />
wenn sie sich nicht auf materielle Interessen abstützen kann. 12 Als Redakteur der Rheinischen<br />
Zeitung (ab 1842) hat Marx an verschiedenen aktuellen Anlässen studieren können,<br />
wie die politische Kräftekonstellation nicht durch unterschiedliche Standpunkte im<br />
Ringen um das Vernünftige, sondern von ökonomischen Interessenlagen bestimmt<br />
wird.<br />
Geschichtlicher Fortschritt kann daher nur durch ein Klassensubjekt realisiert werden,<br />
das durch seine materielle Lage in den Kampf gegen das Bestehende getrieben wird.<br />
Und das Proletariat, so Marx, ist nicht nur eine leidende Klasse, sondern, wie etwa der<br />
Lyoner Weberaufstand von 1844 demonstriert, eine kämpferische Potenz. Das Proletariat<br />
10 Ökonomischphilosophische Manuskripte (1844), in: MEW, Ergänzungsband I, a.a.O., S. 574.<br />
11 Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrechts (§§ 261-313). MEW,<br />
Band 1, Berlin 1969, S. 201-333. Vgl. im folgenden auch: Zur Judenfrage, a.a.O.<br />
12 Deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B.<br />
Bauer <strong>und</strong> Stirner, <strong>und</strong> des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten, MEW 3, Berlin 1969.<br />
210