Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Deutlichkeit: „Die alten Weltanschauungen stehen mit den alten ökonomischen Ordnungen,<br />
aber sie werden auch mit diesen fallen. Der ökonomisch befreite Mensch wird auch<br />
als wissender <strong>und</strong> sittlicher ein freier sein; <strong>und</strong> wenn die ökonomische Ordnung allen<br />
Menschen ein menschenwürdiges Dasein bringen wird, dann werden sie auch eine Weltanschauung<br />
zu der ihrigen machen, die den Geist ganz befreit.“ 6 Die kritische Wendung<br />
gegenüber dem marxistischen Freiheitsbegriff erfolgt an einer anderen Stelle: Für Steiner<br />
ist nicht nur die Vorstellung der bürgerlichen Aufklärer von der ,natürlichen‘ Freiheit des<br />
Menschen schief, auch die marxistische von der gesellschaftlichen Natur der Freiheit<br />
verwechselt Bedingung mit Ursache: „Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen,<br />
die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes; ein freies Wesen kann er bloß<br />
aus sich selbst machen.“ 7 Auf dem Entwicklungsweg des Menschen <strong>und</strong> der Menschheit<br />
spielen „Normen ihre berechtigte Rolle“. Das Ziel jedoch „besteht in der Verwirklichung<br />
rein intuitiv erfaßter Sittlichkeitsziele.“ Auch die Gesetze <strong>und</strong> Normen sind allesamt einmal<br />
der Intuition einzelner Menschen entsprungen, die ihnen Geltung verschafften; - unfrei<br />
ihnen gegenüber „wird nur der, der diesen Ursprung vergißt, <strong>und</strong> sie entweder zu<br />
außermenschlichen Geboten, zu objektiven vom Menschen unabhängigen sittlichen<br />
Pflichtbegriffen oder zur befehlenden Stimme seines falsch mystisch zwingend gedachten<br />
Innern macht.“ 8<br />
Für Steiner ist der Freiheitsbegriff nur auf Individuen anwendbar, <strong>für</strong> Kollektivsubjekte<br />
unpassend. Kollektive Befreiung gibt es allenfalls im Sinne der Aufhebung von Verhältnissen<br />
des Zwangs <strong>und</strong> der Bedrängnis, die positive Freiheit ist jedoch eine „Freiheit<br />
wozu“ <strong>und</strong> mit der Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen noch nicht erreicht. Befreiung<br />
kann in einem System neuer Zwänge enden. So führte in der B<strong>und</strong>esrepublik die<br />
erreichte Freiheit vom Faschismus nicht etwa zum Aufblühen eines freien Geisteslebens<br />
<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legender gesellschaftlicher Neugestaltung, sondern es begann stattdessen der<br />
Tanz ums goldene Kalb, „Wirtschaftsw<strong>und</strong>er“ genannt, die Anbetung des wirtschaftlichen<br />
Wachstums, das aus einem Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse selber zum ersten<br />
Bedürfnis wurde: ein Zustand der Unfreiheit. Freizeit ist nur Bedingung von Persönlichkeitsentfaltung,<br />
mit der sie jedoch nicht zusammenfällt. Ein vielfach durch Reklame, Konsum-<br />
<strong>und</strong> Statuszwänge fremdbestimmtes Freizeitverhalten beweist dies schlagend.<br />
Je freier jemand ist, um so gemeinschaftsfähiger wird er auch sein, nicht im Sinne der<br />
Anpassung an eine Herdenmoral, sondern im positiven Verständnis der Freiheit des anderen.<br />
Darin geht Steiner auch über jenen bürgerlichen Freiheitsbegriff hinaus, der die<br />
Freiheit des anderen bloß negativ, als Grenze <strong>und</strong> Schranke der eigenen begreift <strong>und</strong> zu<br />
respektieren fordert. 9 Während der bürgerliche Freiheitsbegriff zur Rechtfertigungsideologie<br />
<strong>für</strong> Unbrüderlichkeit in der Wirtschaft verkam, die die Gleichheit des bürgerlichen<br />
Rechts formal bleiben ließ <strong>und</strong> eine wirkliche Freiheit des zum Anhängsel der Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> des ihr dienenden Staates degradierten Geisteslebens gar nicht aufkommen ließ,<br />
zielt Steiners Freiheitsbegriff auf eine menschenwürdige Sozialgestaltung: „Mit der Idee<br />
des freien Geisteslebens“ hat er „eine ganz neue Dimension des Freiheitsgedankens<br />
eröffnet. Die liberale Freiheit, die unverzichtbar ist, war eine Freiheit des Privaten, eine<br />
Freiheit zum Kritisieren ohne Folgen. Rudolf Steiner redet von der öffentlich bedeutsamen<br />
Freiheit. Also von der Freiheit der Schulen <strong>und</strong> anderer Korporationen des Geisteslebens,<br />
durch welche Fähigkeiten, Einsichten <strong>und</strong> Initiativen kraftvoll in das <strong>soziale</strong> Leben<br />
einfließen - so daß sie schließlich zur Befreiung der Arbeit <strong>und</strong> damit des handelnden<br />
Menschen führen [...]“ 10<br />
Steiner geht nicht von Spekulationen über die Willensfreiheit aus, sondern versucht<br />
die Sphäre der freien Handlungen einzugrenzen <strong>und</strong> die Gestalt dieser Handlungen von<br />
der Beobachtung her akribisch zu beschreiben: Für beliebige menschliche Handlungen<br />
kommen zwei Momente in Betracht, das Motiv <strong>und</strong> die Triebfeder. Eine bestimmte Vorstellung<br />
(das Motiv) veranlaßt nur dann zu einer Handlung, wenn sie auf eine entsprechende<br />
Disposition im Menschen auftrifft. - Die Vorstellung des Essens wirkt auf einen<br />
Satten anders als auf einen Hungrigen, die Vorstellung der Qualen eines Tieres anders<br />
auf einen Mitleidigen als auf einen Rohling usw. Wo die Vorstellung einer bestimmten<br />
Handlung allein aus dem begrifflichen Denken heraus gewichtet <strong>und</strong> gewertet wird, ist die<br />
Triebfeder nicht eine Begierde, ein Gefühl, ein früheres Erfolgserlebnis bei einer ähnlichen<br />
Handlung o.ä., sondern die praktische Vernunft; hier sind also Motiv <strong>und</strong> Triebfeder<br />
6<br />
GA 51, S. 64f.<br />
7<br />
GA 4, S. 170.<br />
8<br />
ibd. 163, 171.<br />
9<br />
Einen solchen Freiheitsbegriff kritisiert Marx in MEW 1, S. 364f.<br />
10<br />
Lindenberg 1980, S. 287.<br />
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