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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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wenn auch Molt als Gründer weiterhin dem Kollegium angehört. Bald entstehen weitere<br />

Schulen. Die Nazidiktatur macht der Existenz der Waldorfschulen vorübergehend ein<br />

Ende. Nach dem II. Weltkrieg breitet sich die Schulbewegunng in den Ländern, die<br />

selbstverwaltete Schulen zulassen, immer weiter aus. Die internationale Schulbewegung<br />

umfaßt heute über 200 Schulen. In einer Zeit, in der die Schülerzahlen an öffentlichen<br />

Schulen rückläufig sind, wachsen die Waldorfschulen in einem solchen Maße weiter an,<br />

daß nur ein Teil der Bewerbungen um einen Schulplatz berücksichtigt werden kann.<br />

Nach wie vor hat die internationale Waldorfschulbewegung mit Schwierigkeiten zu<br />

kämpfen. Vielfach sind größte finanzielle Opfer erforderlich, um Schulgründungsinitiativen<br />

durchzutragen. Die Lehrer in Staaten, wo es wenigstens Zuschüsse zur Schulfinanzierung<br />

gibt, dürfen sich im Vergleich zu anderen noch glücklich schätzen. Ein gewisses<br />

Problem ist oft auch die Anerkennung von Abschlüssen, obwohl sich hier in vielen Ländern<br />

in der Praxis ein vernünftiger modus vivendi herausgebildet hat. Die <strong>soziale</strong> Zusammensetzung<br />

der Schülerschaft z.B. in der B<strong>und</strong>esrepublik ist repräsentativ <strong>für</strong> die<br />

Gesamtbevölkerung. Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Waldorfschule nicht zur Eliteschule<br />

geworden, sondern bemüht sich, ihrem ursprünglichen <strong>soziale</strong>n Auftrag treu zu<br />

bleiben.<br />

Was sind nun die reformierenden <strong>und</strong> revolutionierenden Aspekte des Waldorf-<br />

Modells, von denen Steiner spricht? - Da ist zunächst einmal die Sozialgestalt der Schule:<br />

Rechts- <strong>und</strong> Wirtschaftsträger ist jeweils ein Schulverein, dem die Eltern, Lehrer <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e der Schule angehören. Das pädagogische Leben wird kollegial vom Kollegium<br />

verwaltet, wobei in Unterrichtsfragen jeder einzelne Lehrer frei <strong>und</strong> selbstverantwortlich<br />

agieren kann. Über die allwöchentlichen Konferenzen ist jeder auch an der Verwaltung<br />

beteiligt, es gibt keinen Direktor, keine Rangunterschiede im Kollegium, auch nicht in der<br />

Gehaltsordnung - wenn diese im einzelnen auch je nach Schule unterschiedlich gestaltet<br />

sein kann. Die b<strong>und</strong>esdeutschen Schulen sind im „B<strong>und</strong> der Freien Waldorfschulen“ zusammengeschlossen.<br />

Bürokratischer Zentralismus existiert nicht, da<strong>für</strong> gibt es Lehrertagungen<br />

<strong>und</strong> andere Veranstaltungen, bei denen Erfahrungen ausgetauscht <strong>und</strong> pädagogische<br />

Anregungen entwickelt werden. 19<br />

Das ist der <strong>soziale</strong> Rahmen <strong>für</strong> eine neuartige Pädagogik. Als die Schule gegründet<br />

wurde, war Koedukation von Jungen <strong>und</strong> Mädchen oder Überkonfessionalität durchaus<br />

keine Selbstverständlichkeit. Das Gesamtschulprinzip (Einheitsschulprinzip) ist es etwa in<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik bis heute noch nicht; <strong>und</strong> da, wo es im Zuge der Bildungsreform zu<br />

Gesamtschulgründungen kam, sind teilweise andere Wege eingeschlagen worden als an<br />

der Waldorfschule, durchaus nicht immer zum Nutzen der Schüler, wie auch frühere Be<strong>für</strong>worter<br />

heute zugeben. Revolutionär ist auch der Gedanke, auf das formale System der<br />

Zensuren (nicht jedoch auf Zeugnisse!) <strong>und</strong> das „Sitzenbleiben“ zu verzichten. Dieser<br />

Verzicht auf Konkurrenzdruck <strong>und</strong> Angst als Motivationsfaktoren stellt an das pädagogische<br />

Geschick der Lehrer hohe Anforderungen, hat jedoch die Bewährungsprobe längst<br />

bestanden: Daß auch unter dem Leistungsaspekt Waldorfschüler keineswegs hinter anderen<br />

zurückstehen, ist eine inzwischen auch durch entsprechende empirische Erhebungen<br />

gesicherte Tatsache. 20 Die Waldorfpädagogik setzt auf Interesse <strong>und</strong> Identifikation.<br />

Der künstlerischen <strong>und</strong> praktischen Erziehung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt.<br />

Wissensbildung <strong>und</strong> Gedächtnistraining werden nicht unterschätzt, aber auch nicht in<br />

einseitiger Weise gegenüber Gefühls- <strong>und</strong> Willensbildung verabsolutiert. Im Gegensatz<br />

zum zerstückelnden Kurssystem der staatlichen Gesamtschulversuche legt man großen<br />

Wert auf den <strong>soziale</strong>n Zusammenhang der Klasse. In den ersten acht Jahren wird diese<br />

von ein- <strong>und</strong> demselben Klassenlehrer betreut. Die differenzierung, die in den vier Jahren<br />

der Oberstufe dadurch eintritt, daß je nach Begabung <strong>und</strong> Neigung unterschiedliche Abschlüsse<br />

angestrebt werden, führt nicht zur Aufspaltung des Klassenverbandes. Diejenigen<br />

Schüler, die das Abitur ansteuern, absolvieren in der B<strong>und</strong>esrepublik noch ein 13.<br />

Schuljahr.<br />

Im Gegensatz zur zerstückelnden Stoffverteilung, wie sie sonst üblich ist, pflegt man<br />

den „Epochenunterricht“: Der Hauptunterricht wird in Einheiten von drei bis vier Wochen<br />

erteilt, in denen ein Themenkomplex behandelt wird. Das bietet die Möglichkeit einer<br />

starken Konzentration <strong>und</strong> allseitigen Erfassung des Themas. Die Schüler können sich in<br />

die Problematik des jeweiligen Fachs wirklich einleben. Der „Lehrplan“ --das Wort steht in<br />

19 Berichtsheft des „B<strong>und</strong>es“ 1985, S. 29.<br />

20 Es handelt sich um eine 1982 veröffentlichte, vom B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Wissenschaft geförderte,<br />

statistisch gesicherte Untersuchng über „Bildungslebensläufe ehemaliger Waldorfschüler“. Näheres bei<br />

Leber 1982.<br />

202

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