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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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177<br />

Moral, Kunst, Religion, Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> menschliche Persönlichkeit im <strong>Marxismus</strong><br />

Moral, Kunst, Religion <strong>und</strong> Wissenschaft sind <strong>für</strong> den <strong>Marxismus</strong> Formen des „gesellschaftlichen<br />

Bewußtseins“. Dieses ist <strong>für</strong> ihn Widerspiegelung des gesellschaftlichen<br />

Seins, ist von den materiellen Verhältnissen determiniert. Dennoch erkennt man ihm auch<br />

eine relative Selbständigkeit zu. Unter dem gesellschaftlichen Bewußtsein versteht man<br />

die Gesamtheit der <strong>für</strong> eine Gesellschaft typischen Anschauungen <strong>und</strong> Ideen. Es ist mehr<br />

als die Summe der Ansichten der einzelnen, denen es immer schon als ein Vorgegebenes<br />

entgegentritt <strong>und</strong> die durch die Sozialisation von Wertvorstellungen <strong>und</strong> Verhaltensstilen<br />

der Gesellschaft, vom Stand ihrer materiellen <strong>und</strong> geistigen Kultur geprägt werden.<br />

Diese geistige Kultur wird nicht in ihrer Gesamtheit dem „Überbau“ zugerechnet: Manche<br />

ihrer Erscheinungen „wie Naturwissenschaft, Sprache [...], Normen des logischen Denkens“<br />

1 gelten als klassen- <strong>und</strong> systemneutral. Dennoch sieht man letztlich auch die Kultur<br />

von klassenbedingten Strömungen, fortschrittlicher oder reaktionärer Art, geprägt. Dabei<br />

ist es dann noch die Frage, wie weit oder eng man den Begriff jenes fortschrittlichen Erbes<br />

faßt, das die Arbeiterklasse sich zu eigen machen soll.<br />

Innerhalb des gesellschaftlichen Bewußtseins trifft man eine Unterscheidung zwischen<br />

gesellschaftlicher Psychologie <strong>und</strong> Ideologie. Die erstere ist Teil des Alltagsbewußtseins<br />

<strong>und</strong> umfaßt Meinungen, Stimmungen, Gewohnheiten usw.; die zweite Ebene ist die der<br />

mehr systematisierten Auffassungen, die Ebene der „Weltbilder“. Für die Produktion der<br />

Ideologie wird den Intellektuellen eine gewisse Rolle zuerkannt, diese seien aber nicht<br />

autonom, sondern formulierten letztlich ihre Thesen bezogen auf die Interessen einer der<br />

gesellschaftlichen Gr<strong>und</strong>klassen. Der Ideologie erkennt man eine gewaltige Rolle zu im<br />

Prozeß der Formierung einer „Klasse an sich“ zu einer „Klasse <strong>für</strong> sich“, d.h. einer bewußten<br />

<strong>und</strong> geschichtlich handlungsfähigen Kraft. Deshalb mißt man der „kommunistischen<br />

Erziehung der Werktätigen“ große Bedeutung zu.<br />

Die gesellschaftlichen Bewußtseinsformen werden hinsichtlich ihrer jeweiligen <strong>soziale</strong>n<br />

Funktion <strong>und</strong> ihres spezifischen Widerspiegelungsverhältnisses zur Gesellschaft unterschieden.<br />

Außer den genannten gehört zu den gesellschaftlichen Bewußtseinsformen<br />

noch das politische <strong>und</strong> Rechtsbewußtsein. Die Bewußtseinsformen differenzieren sich<br />

geschichtlich allmählich heraus. Das Bewußtsein der Urgesellschaft sieht man als ein<br />

relativ wenig differenziertes, weitgehend in den materiellen Verkehr der Menschen verflochtenes<br />

an; erst mit zunehmender Arbeitsteilung beginne das gesellschaftliche Bewußtsein<br />

als scheinbar autonomes Geistesleben ein abgehobenes Dasein zu führen. Alle<br />

Bewußtseinsformen weisen die beiden Schichten - gesellschaftliche Psychologie <strong>und</strong><br />

Ideologie - auf. So reicht das politische <strong>und</strong> Rechtsbewußtsein vom sogenannten<br />

„Rechtsempfinden“ bis zur systematisierten Theorie des Rechts, von politischen Sympathien<br />

bis zur ausgearbeiteten Parteiprogrammatik.<br />

Die Moral sieht man in der Urgesellschaft noch gänzlich mit der religiösen Vorstellungswelt<br />

verwachsen, die dem einzelnen sein Verhalten durch starre Muster <strong>und</strong> Tabus<br />

von außen vorgibt. Erst der Tauschhandel, mit ihm das Kennenlernen fremder Sitten <strong>und</strong><br />

damit die Möglichkeit von Normenkonflikten, so argumentiert man, führt zu Verunsicherungen,<br />

die innere Antriebe des Verhaltens erforderlich machen. Die Befolgung moralischer<br />

Normen werde nicht wie die der Rechtsnormen durch besondere <strong>Institut</strong>ionen mit<br />

Gewalt erzwungen, wenn auch der Druck kollektiver Empfindungen, Rollenerwartungen,<br />

Erziehung, auch Androhung jenseitiger Strafen eine Rolle spielt. Das moralische Verhalten<br />

gilt nicht einfach als andressiert, - es soll das Moment der selbstverantwortlichen Bewertung<br />

des eigenen Handelns voraussetzen, das sich im Gewissen offenbart. Entscheidend<br />

<strong>für</strong> die objektive Bewertung einer Handlung sollen ihre <strong>soziale</strong>n Folgen sein, aber<br />

man räumt ein, daß die moralische Qualität der Handlung in inneren Antrieben wurzelt.<br />

Während das Recht äußere Ordnung schaffe, beziehe sich die Moral auf die Sphäre der<br />

Fre<strong>und</strong>schaft, Liebe, Kameradschaft usw., „die weder durch staatliche Organe noch<br />

durch gesellschaftliche Organe regulierbar sind“ 2 . - Ein bemerkenswerter Satz! Andererseits<br />

verteidigt man die Rolle des Staates bei der moralischen Erziehung, deren Objekt<br />

nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Erwachsenen sein sollen. Kein Parteitag<br />

1<br />

Konstantinow, S. 442. Vgl. dort auch im folgenden S. 440ff.; ebenfalls vgl. man Hahn (Hg.) 1976, S. 625ff.<br />

<strong>und</strong> Fiedler u.a. (Hg.) 1974, S. 532ff.<br />

2<br />

Konstantinow, S. 454.

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