Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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scher positiver Zustand das Resultat. Indem sie den alten Zustand aufhebt, bricht die<br />
Negation die Kontinuität ab, indem sie einige seiner Züge aufbewahrt, ist auch das Moment<br />
der Kontinuität vorhanden. Das Alte wird im doppelten Wortsinn „aufgehoben“: Indem<br />
die erste Negation sich als Einseitigkeit erweist, entsteht die Gegentendenz zur<br />
„Synthese“ der Gegensätze, die jedoch nicht den alten Zustand wiederherstellen kann, in<br />
dem sich die Unmöglichkeit ihrer Koexistenz bereits erwiesen hat. Die Gegensätze streben<br />
nach einem neuen gemeinsamen Rahmen, in dem sie sich wiedervereinigen können.<br />
Im Entwicklungszyklus kommt es daher zu einer „Restauration“ einiger Züge des Ausgangszustands<br />
im Zuge der zweiten Negation, der Negation der Negation. Entwicklung<br />
vollzieht sich auf diese Weise nicht glatt <strong>und</strong> gradlinig, sondern schließt Umwege ein, die<br />
Verkehrung ursprünglichen Fortschritts ins Gegenteil, das Zur-Regel-Werden der Ausnahme<br />
usw. 12<br />
Außer den drei Gr<strong>und</strong>gesetzen wird im <strong>Marxismus</strong> das dialektische Verhältnis verschiedener<br />
korrelativer Kategorien behandelt. Kategorien <strong>und</strong> Gesetze der Dialektik sind<br />
wechselseitig aufeinander bezogen: die Gesetze sind nur mit Hilfe von Kategorien formulierbar,<br />
die Kategorien stehen in gesetzmäßigen Verhältnissen zueinander. Die Kategorien<br />
gelten als gedanklicher Ausdruck der allgemeinsten Zusammenhänge der materiellen<br />
Realität, als ihre Widerspiegelung. Das Allgemeine <strong>und</strong> Notwendige in der verwirrenden<br />
Fülle der Einzelerscheinungen ist aber zugleich das Gesetzmäßige; Gesetze sind<br />
wesentliche, stabile, immanente Zusammenhänge der Dinge <strong>und</strong> Prozesse der objektiven<br />
Realität, die sich unter den gleichen Bedingungen mit Notwendigkeit wiederholen.<br />
Erst die Erkenntnis von Gesetzen ermöglicht planvoll-zielgerichtetes Handeln zur Realisierung<br />
von Zwecken. Ein großer Teil von Gesetzen hat - wie die dialektischen Gr<strong>und</strong>gesetze<br />
- den Charakter von Entwicklungsgesetzen. An Kants aprioristischer Konstruktion<br />
erkennt man ein Körnchen Wahrheit: Kategorien <strong>und</strong> logische Gesetze sind tatsächlich<br />
unabhängig von der Erfahrung des Individuums, sind ihr vorgegeben, nicht jedoch sind<br />
sie erfahrungsunabhängig in bezug auf das Subjekt „menschliche Gattung“: „Die praktische<br />
Tätigkeit des Menschen mußte das Bewußtsein des Menschen milliardenmal zur<br />
Wiederholung der verschiedenen logischen Figuren führen, damit diese Figuren die Bedeutung<br />
von Axiomen erhalten konnten“, schrieb Lenin. 13 „Bevor die Gegenstände eine<br />
besondere Artbezeichnung erhalten <strong>und</strong> in einer bestimmten Klasse zusammengefaßt<br />
werden, müssen die Menschen erkennen, daß dies Gegenstände zur Befriedigung ihrer<br />
Bedürfnisse sein können. Sie müssen durch wiederholte Handlungen in gewissem Maße<br />
über sie verfügen <strong>und</strong> sie aufgr<strong>und</strong> von Erfahrungen von anderen Gegenständen der<br />
äußeren Welt unterscheiden können“, schreibt P. V. Kopnin. 14 Das Kategorien-system ist<br />
nichts ein <strong>für</strong> allemal Gegebenes, das Logische hat letztlich historischen Charakter. In der<br />
Geschichte des menschlichen Denkens wird das kategoriale Instrumentarium entwickelt,<br />
verfeinert <strong>und</strong> ausgebaut.<br />
Die Behandlung einzelner Kategorienverhältnisse wird in marxistischen Darstellungen<br />
gewöhnlich mit dem Verhältnis von Allgemeinem, Besonderem <strong>und</strong> Einzelnem begonnen,<br />
dem Gr<strong>und</strong>problem der Begriffsbildung überhaupt. Die marxistische Behandlung dieses<br />
Problems hat stark nominalistische Züge. So spricht etwa Engels von Worten wie Materie<br />
<strong>und</strong> Bewegung als Abkürzung zum Zwecke der Zusammenfassung verschiedener Dinge<br />
nach ihren gemeinsamen Eigenschaften. Bei Konstantinow lesen wir, die Allgemeinbegriffe<br />
bezeichneten die Klasse oder Menge, als deren Elemente die Einzeldinge wie ein<br />
Kristall, eine Pflanze oder ein Mensch auftreten. Oder es heißt, das Allgemeine <strong>und</strong> Gesetzmäßige<br />
sei nur Ausdruck der Wechselwirkung der Einzeldinge <strong>und</strong> ihrer Elemente. 15<br />
Auf der anderen Seite ist man aber doch auch wieder bemüht, gegenüber dem reinen<br />
Nominalismus eine Abgrenzung vorzunehmen. Das Allgemeine existiere real als materieller<br />
Zusammenhang, als reale Gemeinsamkeit, als Ähnlichkeit zwischen Eigenschaften<br />
<strong>und</strong> Seiten eines Objekts. Ahornblätter z. B. haben eine real gemeinsame Formgebung<br />
<strong>und</strong> Färbung, obwohl sie räumlich getrennt <strong>und</strong> nicht zwei von ihnen identisch sind. So<br />
betrachtet, als Widerspiegelung realer Allgemeinheit, müssen die Begriffe dann doch<br />
wieder mehr als Abkürzungen <strong>für</strong> die einzig realen Einzeldinge sein. Deren Vereinzelung<br />
sei nur relativ, das Einzelne existiere nur im Zusammenhang, der zum Allgemeinen führe.<br />
Das Allgemeine existiere aber auch nicht vor <strong>und</strong> außerhalb des Einzelnen. Die Kategorie<br />
83<br />
12<br />
Vgl. a. Engels, MEW 20, S. 126ff., 564.<br />
13<br />
LW 38, S. 181.<br />
14<br />
Kopnin 1970, S. 283.<br />
15<br />
S. Engels, MEW 20, S. 503; Konstantinow, S. 154 <strong>und</strong> ff.; Gropp, nach Sandkühler 1973, S. 97f.