Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ger Eccles, immerhin zu dem Schluß kommt, das immaterielle Ich sei es, das die Botschaften<br />
des Gehirns zu entschlüsseln <strong>und</strong> das Gehirn zu „programmieren“ habe. 18<br />
Steiner faßt das Verhältnis von Materie <strong>und</strong> Bewußtsein dergestalt, daß er jeweils den<br />
Zusammenhang physiologischer, psychischer <strong>und</strong> mentaler Phänomene aufzudecken<br />
versucht, nicht auf der Ebene allgemeiner Behauptungen über die „leib-seelische Ganzheitlichkeit“<br />
des Menschen operiert. Es geht ihm darum, im Konkreten aufzuweisen, wie<br />
das aus vorgeburtlicher Sphäre stammende Geistig-Seelische an Aufbau <strong>und</strong> Substantiierung<br />
des Leibes arbeitet, wie es sich in den konkreten Organprozessen der Leber, des<br />
Herzens, der Lunge usw. betätigt. 19<br />
Eine „wirkliche Phänomenologie des Bewußtseins in bezug auf eine funktionelle ‚Ortung‘<br />
der typischen Seelenbewegungen im physischen Leib“ (M. Scaligero) 20 wird von<br />
Steiner inauguriert: Durch seelische Beobachtung „beginnt man festzustellen, wie die<br />
Denktätigkeit sich durch das Gehirn entwickelt: das rationale Denken entwickelt sich im<br />
Kopf, vom Sinneswahrnehmen angeregt. Das Gefühlsleben hat stattdessen seinen Sitz in<br />
der Brust: sein Träger ist die Kraft, die sich in der Atmung <strong>und</strong> im Blutkreislauf ausdrückt.<br />
Die Willensmacht benutzt als Instrument die Dynamik des Stoffwechsels <strong>und</strong> der Bewegung<br />
der Glieder.“ So wie die drei von Steiner aufgewiesenen Subsysteme des menschlichen<br />
Organismus, Nerven-Sinnes-System, Rhythmisches System <strong>und</strong> Stoffwechsel-<br />
Gliedmaßen-System, sich gegenseitig „durchdringen, obwohl jedes seine vorherrschende<br />
Funktion im eigenen Bereich beibehält, so wirken in ständiger Kombination oder in ständigem<br />
Widerstreit die drei Seelenfunktionen Denken, Fühlen <strong>und</strong> Wollen mit einer derartigen<br />
Wandlungsfähigkeit, die die funktionelle Beweglichkeit der entsprechenden leiblichen<br />
Prozesse bei weitem übertrifft Nach den Untersuchungen der Geisteswissenschaft<br />
ergibt sich, daß das Seelenleben nicht nur vom Nervensystem abhängig ist [...] Dem Nervensystem<br />
kann nur die Denk- <strong>und</strong> Wahrnehmungstätigkeit zugeschrieben werden: deshalb<br />
ist das Denken die einzige Tätigkeit des Bewußtseins, die fähig ist, den eigenen, der<br />
Gehirntätigkeit vorgelagerten Prozeß zu verfolgen [...] Das Fühlen <strong>und</strong> Wollen, obwohl in<br />
einigen Äußerungen wahrnehmbar, geschehen auf Ebenen, die <strong>für</strong> das Wachbewußtsein<br />
dem Traum- <strong>und</strong> Schlafzustand entsprechen [...]“. 21<br />
Von daher fällt neues Licht auf das Problem des Unbewußten <strong>und</strong> seiner Beziehung<br />
zum Bewußten. Unser gewöhnliches Denken, so formuliert Scaligero Steiners Ansatz, ist<br />
der Abkömmling einer „höheren Kraft, die in sich der Synthese-Strom des Lichtes <strong>und</strong><br />
des Lebens ist. Hier hat das Denken in seinem Inneren das Fühlen, <strong>und</strong> das Fühlen hat<br />
in seinem Inneren das Wollen. In einem überbewußten Bereich sind die drei Kräfte der<br />
Seele: Denken, Fühlen <strong>und</strong> Wollen, eine einzige leuchtende Kraft. Wenn diese Kraft“ -<br />
unser höheres Selbst - „als solche, d.h. mit ihrer ursprünglichen Macht von Lebenslicht,<br />
im menschlichen Organismus sich versenken würde, so würde sie ihn zerstören. Um sich<br />
zu inkarnieren, teilt sich deshalb diese Kraft in drei Strömungen, von denen nur eine, das<br />
Denken, bewußt wird: aber sie wird bewußt nur auf Kosten seiner Widerspiegelung im<br />
Hirn. Mit dem Verzicht auf das eigene, feine Lebenselement wird das Denken tote Widerspiegelung,<br />
Schatten, mit einer Beweglichkeit, in der keine Seele oder inneres Licht mehr<br />
ist [...] Die anderen zwei Strömungen, das Fühlen <strong>und</strong> das Wollen, behalten trotzdem ihr<br />
Lebenselement, unter der Bedingung aber, an dem unterbewußten somatischen Bereich<br />
haften zu bleiben, d.h. an dem Empfindungsleib <strong>und</strong> dem Ätherleib, so daß ihre Dynamik<br />
sich verändert <strong>und</strong> als Gefühls- <strong>und</strong> Instinktstrom ins Bewußtsein aufsteigt“, während nur<br />
im leblosen Denken der Mensch im Wachzustand ist. 21 Dies ermöglicht kritische Distanz<br />
<strong>und</strong> Freiheit, bedroht den Menschen aber zugleich mit dem Verlust des Realitätsbezugs<br />
<strong>und</strong> stellt ihn damit vor die Aufgabe, aus seiner Freiheit heraus im Erkennen <strong>und</strong> Handeln<br />
den Weg zur Wirklichkeit zu finden. Gelingt dies nicht, schlagen die dem Selbst entfallenen<br />
<strong>und</strong> entfremdeten Wesenskräfte diesem aus dem Unterbewußten entgegen <strong>und</strong><br />
drohen es zu überwältigen. Im Extremfall zerstören sie, wie in der schweren Psychose,<br />
die Identität des Bewußtseins.<br />
Owen Barfield schreibt, der Kern der <strong>Anthroposophie</strong> sei das Konzept des Selbstbewußtseins<br />
des Menschen als eines Prozesses in der Zeit 22 also die Evolution der Bewußtseinsstufen.<br />
Steiner beschreibt <strong>für</strong> die Anfänge der Menschheitsevolution eine Bewußtseinsverfassung,<br />
die noch unter dem Niveau des traumlosen Schlafs liegt <strong>und</strong> heute allenfalls<br />
in tiefster Trance erreichbar ist. Dieses „Bewußtsein“ lebt noch wie von innen das<br />
66<br />
18<br />
Steiner in GA 35, nach Kugler 1978, 49f. Popper/Eccles56f.; Vgl. a. GA 235, 56f.; GA 125, S. 107.<br />
19<br />
Vgl. z.B. GA 27 <strong>und</strong> GA 314.<br />
20<br />
Scaligero 1979. Nachtrag: Uber die innere Konzentration.<br />
21 ibd.<br />
22 Barfield 1966, S. 189.