Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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Soweit überhaupt ein Anspruch auf den Mehrwert geltend gemacht werden kann, so<br />
weder von den Hand- noch von den Geistesarbeitern als Individuen, sondern allenfalls<br />
vom Geistesleben als ganzem. Steiner strebt danach, Formen zu finden, die einen Teil<br />
des wirtschaftlichen Ertrages in das Geistesleben fließen lassen, damit er dort Früchte<br />
trägt, die schließlich auch der Wirtschaft wieder zugutekommen, statt wie heute üblich ein<br />
selbstzweckhaftes <strong>und</strong> ökologisch bedenkliches Wachstum immer neu anzufachen - wobei<br />
der Staat durch Abschöpfung (Zwangsschenkungen an Geistes- <strong>und</strong> Rechtsleben)<br />
die schlimmsten Folgen solchen Raubbaus abzufangen hat, um den Preis der Einschränkung<br />
von Freiheitsräumen. Der von Steiner intendierte sozio-kulturelle Wandel würde den<br />
Sinn der Produktion <strong>für</strong> den Menschen <strong>und</strong> seine allseitige Entwicklung als geistige Individualität<br />
statt des Profits in den Mittelpunkt stellen <strong>und</strong> damit die heute vorherrschende<br />
reine kommerzielle Wirtschaftsgesinnung ablösen. An die Stelle der Finanzierung über<br />
den Staat träte ein Netz vielgestaltiger Beziehungen zwischen Wirtschafts- <strong>und</strong> Geistes-<br />
bzw. Rechtsleben, bei dem auch Überlegungen <strong>für</strong> eine Reform der Geldordnung keine<br />
geringe Rolle zufällt. 45 Aus dem Rechtsleben heraus können <strong>für</strong> die Beziehungen der drei<br />
Sozialglieder Regeln gef<strong>und</strong>en werden, die praktische Gestaltung aber obliegt nicht dem<br />
Staat, der sich aus der Verantwortung <strong>für</strong> Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturleben herauslösen würde.<br />
Für das Geistesleben bedeutet das die Chancen, aber natürlich auch die Risiken der<br />
Eigenverantwortung: Die „Kulturarbeiter“ müßten um das freie Verständnis <strong>für</strong> ihre Rolle<br />
<strong>und</strong> ihre Leistungen werben. Steiner will kein freischwebendes Geistesleben, sondern<br />
eines, das seiner Verantwortung <strong>für</strong> die Gesamtgesellschaft aus eigener Initiative, in engem<br />
Zusammenwirken mit den beiden anderen Sozialgliedern wahrnimmt.<br />
Aus Steiners ökonomischer Konzeption ergeben sich also Konsequenzen <strong>für</strong> die Gesellschaftsordnung<br />
als ganze. Sie führt zur Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen<br />
Eigentumsordnung, einer neuen Einkommensordnung <strong>und</strong> einer neuen Wirtschaftsordnung.<br />
Steiners Alternative zum kapitalistischen Privateigentum besteht in der Neutralisierung<br />
des Kapitals, die R. Brüll mit dem folgenden Beispiel veranschaulicht: Gesetzt, es gründet<br />
jemand mit ersparten 50.000 DM eine Druckerei, ist durch seine Fähigkeiten in der Lage,<br />
den Maschinenpark zu erweitern <strong>und</strong> immer mehr Mitarbeiter einzustellen, so daß der<br />
Betrieb nach 20 Jahren mit einem Gesamtvermögen von 850.000 DM dasteht. Im privatkapitalistischen<br />
System hätte der Gründer, wenn er aus Altersgründen Schluß machen<br />
will, den Betrieb <strong>für</strong> diese Summe <strong>und</strong> den entsprechenden Aufpreis im Hinblick auf zu<br />
erwartende Gewinne <strong>für</strong> vielleicht 1,5-2 Mio. DM veräußern können. Nicht so bei Steiners<br />
ökonomischem Konzept. Hat der Gründer während seiner Arbeitszeit ein angemessenes<br />
Einkommen erhalten <strong>und</strong> ist <strong>für</strong> eine angemessene Rente gesorgt, dann stehen ihm beim<br />
Austritt genau die investierten 50.000 DM zu, einschließlich einer gewissen rechtmäßigen<br />
Verzinsung (die natürlich beim heutigen wirtschaftlichen Umfeld die Geldentwertung mit<br />
kompensieren müßte). Die hinzugekommenen 800.000 DM sind nicht allein das Verdienst<br />
des Gründers, sondern ebenso seiner Mitarbeiter <strong>und</strong> bleiben als neutrales Kapital<br />
im Betrieb. Sie gehören sozusagen niemandem mehr, sondern stehen dem Betrieb <strong>und</strong><br />
seinem neuen Leiter zur Verfügung. Die Vorteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand.<br />
Denn die 800.000 DM hätte der Betrieb, damit sich der Kauf <strong>für</strong> den neuen Inhaber rentiert,<br />
unter enormem Leistungsdruck erneut erwirtschaften müssen. Nutznießer davon<br />
wäre die Bank, die am Kredit des neuen Inhabers verdient, sowie „die Gastronomie von<br />
Las Vegas, wo der Alte sein Vermögen verbrasselt“. Die bargeldlose Übergabe hat den<br />
weiteren gesellschaftlichen Vorteil, daß der Fähige <strong>und</strong> nicht der finanziell Potente, der<br />
nur ein Renditeobjekt sucht, die Leitung übernehmen wird. Die Produktion bleibt bedarfsorientiert<br />
<strong>und</strong> die Arbeitsplätze erhalten. Der bisherige Inhaber hat aufgr<strong>und</strong> seiner Erfahrung<br />
das Recht, in Absprache mit den Mitarbeitern einen Nachfolger zu bestimmen. Erst<br />
wenn auf diese Weise kein Nachfolger gef<strong>und</strong>en wird, entscheidet ein Organ des Geisteslebens.<br />
Der Staat hat die Übergabe <strong>und</strong> ihre Modalitäten zu garantieren, aber sonst<br />
keine Befugnisse. Aufgr<strong>und</strong> unseres von der römischen Tradition geprägten Eigentumsrechts<br />
ist die Kapitalneutralisierung in reintypischer Form heute schwierig. Kompromißformen<br />
wie die Übertragung der Gesellschaftsanteile eines Unternehmens an eine gemeinnützige<br />
Stiftung o.ä. sind deshalb oft unumgänglich, beseitigen aber natürlich noch<br />
nicht das Problem der Verkäuflichkeit der Anteile 46 . Letztlich ist also eine Veränderung der<br />
Gesetze unumgänglich: der politische Aspekt kann nicht ausgeklammert werden.<br />
154<br />
45 Vgl. GA 340, S. 154 f., GA 28, S. 104f., ferner bei Schweppenhäuser 1982 <strong>und</strong> Latrille 1985.<br />
46 R. Brüll 1984.