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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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entfremdeter Gestalt, als Instrument von Ausbeutung <strong>und</strong> Unterdrückung entgegentrat,<br />

da mußte dies zu dem Bewußtsein führen, die Handarbeit müsse ihre eigenen Bedrücker<br />

<strong>und</strong> Bedränger mitunterhalten. Zumal die Verbindung von privilegierter Klassenstellung<br />

<strong>und</strong> geistiger Arbeit Dünkel der „Gebildeten“ gegenüber den „bloß“ materiell Arbeitenden<br />

schürte. Steiner wendet sich mit Entschiedenheit gegen diese „unselige“ Abwertung <strong>und</strong><br />

läßt sich in der Anerkennung von Rang <strong>und</strong> Würde der Handarbeit von Marx nicht übertreffen.<br />

22<br />

Dieser, auf der anderen Seite, sieht sich genötigt, die Notwendigkeit einer geistigen<br />

Arbeitsleitung zumindest partiell anzuerkennen: „Alle unmittelbar gesellschaftliche oder<br />

gemeinschaftliche Arbeit auf größerem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion,<br />

welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt <strong>und</strong> die allgemeinen Funktionen<br />

vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von<br />

der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigiert<br />

sich selbst, ein Orchester bedarf des Musikdirektors.“ 23 Die Wissenschaft, Entdeckungen<br />

<strong>und</strong> Erfindungen, bezeichnet Marx als „allgemeine Arbeit“ 24 . Erfindungen können<br />

immer neu genutzt, von einer erworbenen Geschicklichkeit kann immer wieder neu<br />

Gebrauch gemacht werden, während die rein körperliche Kraftentfaltung sich einmal im<br />

Produkt vergegenständlicht <strong>und</strong> dann vergangen ist. Von den mathematischen Verfahren,<br />

die man <strong>für</strong> die Berechnung der Tragfähigkeit von Brücken <strong>und</strong> der Stabilität von<br />

Tunneln anwendet, profitieren die Produzenten, obwohl die Erfinder längst tot sind. Aufs<br />

Ganze gesehen, zahlt so das Geistesleben dem Wirtschaftsleben, der geistig Produzierende<br />

dem Handarbeiter die Unterhaltskosten gewissermaßen zurück.<br />

Mehr oder weniger idealtypisch betrachtet liegt die Wurzel der Kapitalentstehung immer<br />

in der Anwendung von Geist auf Arbeit: nur die vom Geist befruchtete Arbeit produziert<br />

über das Existenznotwendigste hinaus, schafft Mehrwert. Steiner im „Nationalökonomischen<br />

Kurs“: „Sie werden, wenn Sie suchen wollen, sehen, daß gewissermaßen der<br />

Entstehungspunkt des Kapitals immer in der Arbeitsteilung, Arbeitsgliederung liegt [...]<br />

jeder solche Vorgang besteht darin, daß der Geist auf die Arbeit angewandt wird, daß die<br />

Arbeit durch den Geist in irgendeiner Beziehung durchdrungen wird [...]“ Als „ganz einfaches<br />

Beispiel“ führt Steiner einen Mann an, der einen Pferdewagen baut <strong>und</strong> einsetzt, um<br />

Arbeiter aus verschiedenen Ortschaften zu einem Bergwerk zu fahren, das sie früher zu<br />

Fuß erreichen mußten. Da<strong>für</strong> erhält er einen Obolus. 25 Die Durchdringung von Arbeit<br />

durch den Geist ist die Ursache von Einsparungen, Kostensenkungen, die den Wert des<br />

Produkts unter den gesellschaftlichen Normalwert senken <strong>und</strong> über den dadurch ermöglichten<br />

Gewinn zur freien Kapitalbildung führen. Eine solche vollzieht sich fortgesetzt im<br />

Wirtschaftsprozeß. Als freie kann man sie auch deshalb bezeichnen, weil sie Wertbildung<br />

über das zur Lebenserhaltung notwendige Quantum hinaus darstellt <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> Ziele<br />

einsetzbar ist, die nicht von materiellen Notwendigkeiten einfach vorgegeben sind. Es<br />

bedeutet dies auch, daß der ursprüngliche Zweck der Produktion, aus der der Gewinn<br />

geschlagen wurde, <strong>für</strong> den Einsatz des Mehrwertes nicht bindend ist: dieser kann vielmehr<br />

überall eingesetzt werden. Eine Emanzipation von der Naturgr<strong>und</strong>lage tritt so durch<br />

das Kapital ein, ein „realer Abstraktionsprozeß“ vollzieht sich. Es ist dasselbe Phänomen,<br />

das Marx in der Metamorphose der Formel Ware-Geld-Ware zur Formel Geld-Ware-Geld<br />

bzw. Mehrgeld untersucht. 26 Geld als der äußerlich ausgedrückte Wert kann beliebig übertragen<br />

werden, die persönlichen Abhängigkeiten zwischen den Menschen, wie sie <strong>für</strong><br />

ältere Wirtschaftsformen typisch waren, verlieren damit an Bedeutung. Der Kapitalist, der<br />

selber keine Konzeption <strong>für</strong> die Anwendung seines überschüssigen Kapitals hat, tritt als<br />

Kreditgeber <strong>für</strong> einen anderen auf, der eine solche Geschäftsidee hat. Das Kapital<br />

schwimmt so zu Individuen mit unternehmerischen <strong>und</strong> innovatorischen Ideen <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />

hin, die schließlich zu erneuter freier Kapitalbildung führen. Geld in dieser Funktion<br />

ist - so Steiner - realisierter Geist, das Wirkungsinstrument des in der Wirtschaft tätigen<br />

Menschengeistes. 27 So kann die Einsparung von körperlicher Arbeit in einem Sektor der<br />

Warenproduktion zu neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Sektor führen.<br />

Dadurch wird einer „zum Kapitalisten, daß er Arbeit erspart; dadurch wird die kapita-<br />

150<br />

22 Vgl. z.B. in GA 333 <strong>und</strong> GA 340.<br />

23 MEW 23, S. 350.<br />

24 Vgl. MEW 25, S. 113f.<br />

25 GA 340, S. 44.<br />

26 Vgl. MEW 23, S. 161ff.<br />

27 GA 340, S. 47.

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