Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen
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„Sie sind eben nichts anderes als die allgemeinsten Gesetze dieser beiden Phasen<br />
der geschichtlichen Entwicklung sowie des Denkens selbst. Und zwar reduzieren sie sich<br />
der Hauptsache nach auf drei:<br />
das Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität <strong>und</strong> umgekehrt;<br />
das Gesetz von der Durchdringung der Gegensätze;<br />
das Gesetz der Negation der Negation.<br />
Alle drei sind von Hegel in seiner idealistischen Weise als bloße Denkgesetze entwickelt:<br />
das erste im ersten Teil der ,Logik‘, in der Lehre vom Sein; das zweite füllt den<br />
ganzen zweiten <strong>und</strong> weitaus bedeutendsten Teil seiner ,Logik‘ aus, die Lehre vom Wesen;<br />
das dritte figuriert als Gr<strong>und</strong>gesetz <strong>für</strong> den Aufbau des ganzen Systems. Der Fehler<br />
liegt darin, daß diese Gesetze als Denkgesetze der Natur <strong>und</strong> Geschichte aufoktroyiert,<br />
nicht aus ihnen abgeleitet werden. Daraus entsteht nun die ganze gezwungene <strong>und</strong> oft<br />
haarsträubende Konstruktion: Die Welt, sie mag wollen oder nicht, soll sich nach einem<br />
Gedankensystem einrichten, das selbst wieder nur das Produkt einer bestimmten Entwicklungsstufe<br />
des menschlichen Denkens ist. Kehren wir die Sache um, so wird alles<br />
einfach <strong>und</strong> die in der idealistischen Philosophie äußerst geheimnisvoll aussehenden<br />
dialektischen Gesetze werden sofort einfach <strong>und</strong> sonnenklar.“ 6<br />
Die letzte Bemerkung von Engels erscheint übertrieben, denn gerade die Umdeutung<br />
der Kategorien <strong>und</strong> Gesetze zu Produkten der Abstraktion führt zu einer erkenntnistheoretischen<br />
Aporie: Kant hatte seine kopernikanische Wende, die Erkenntnisbegründung<br />
vom Subjekt her, als Rettungsaktion zur Sicherung von Allgemeinheit <strong>und</strong> Notwendigkeit<br />
der Erkenntnis unternommen. Weil jeder Erfahrungsinhalt der durch die Anschauungsstruktur<br />
- Raum <strong>und</strong> Zeit - <strong>und</strong> die Kategorien gegebenen Form sich fügen muß, sind<br />
Gesetzesaussagen möglich, was nicht der Fall wäre, wenn die Denkstrukturen (Kategorien<br />
usw.) nur durch Induktion - als Verallgemeinerung aus Erfahrungen, <strong>und</strong> seien es die<br />
vielfältigsten, entstanden wären. Hegel gewinnt mit seinem Postulat der Identität von<br />
Vernunft <strong>und</strong> Wirklichkeit die Möglichkeit, das unerkennbare Ding an sich wieder einzuziehen,<br />
ohne damit das Allgemein-Notwendige der kategorialen Verhältnisse antasten zu<br />
müssen: die Kategorien sind die allgemeinsten Formen der Wirklichkeit selbst <strong>und</strong> ihrer<br />
Bewegung. Werden sie dagegen zu bloßen Spiegelungen herabgesetzt, die durch Abstraktion<br />
aus Erfahrungen entstehen, wird der Erkenntnis der Schutzschild entzogen,<br />
durch den sie vor der Humeschen Induktionskritik bewahrt werden sollte. Ob der Rekurs<br />
auf die Praxis ausreicht, um mit diesem Problem fertig zu werden, ist zumindest fraglich,<br />
da die Deutung praktischer Erfahrungen nicht ohne Kategorien möglich ist.<br />
Die materialistische Umdeutung der Dialektik führt noch zu einem anderen Problem:<br />
Bei Hegel wächst eine Kategorie aus der anderen gleichsam hervor, die Negation ist in<br />
dieser Begriffsentwicklung das Treibende <strong>und</strong> Kraftende; gerade dadurch erhält das Kategoriensystem<br />
seine organismische Ganzheitlichkeit als Metamorphosenreihe der sich<br />
entfaltenden Idee. Im <strong>Marxismus</strong> werden Gesetze <strong>und</strong> Kategorien zwar nach bestimmten<br />
Ordnungsgesichtspunkten aneinandergereiht, jedoch nicht auseinander entwickelt. Die<br />
Quantität sprießt nicht aus der Qualität, der Widerspruch nicht durch verschiedene Verwandlungen<br />
aus der Identität hervor: die bestimmte Negation wird dann konsequenterweise<br />
zum Gegenstand eines separaten, des „dritten Gr<strong>und</strong>gesetzes der Dialektik“, statt<br />
die bewegende Seele des ganzen zu bilden.<br />
Welchen Status <strong>und</strong> Inhalt haben die Gr<strong>und</strong>gesetze <strong>und</strong> Kategorien in der materialistischen<br />
Dialektik?<br />
Das Gesetz vom Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative <strong>und</strong> umgekehrt<br />
soll den „Mechanismus der Entwicklung“ 7 wissenschaftlich erfassen. Man geht davon<br />
aus, daß ein sich entwickelnder neuer Zustand weder bloße Vergrößerung oder Verkleinerung<br />
eines Vorhandenen sein, noch durch ein W<strong>und</strong>er aus dem Nichts entstehen<br />
darf, sondern sich im Bestehenden bereits materiell vorbereitet haben muß.<br />
Die Qualität eines Dings oder Vorgangs ist gleichbedeutend mit seiner Einheit, Ganzheit,<br />
relativen Stabilität, Strukturiertheit. Mit der Auflösung des bestehenden Strukturzusammenhangs<br />
hört der Gegenstand auf, derselbe zu sein; neue Strukturzusammenhänge<br />
konstituieren auch neue Gegenstände mit neuen Eigenschaften. Reale Gegenstände<br />
weisen stets sowohl eine qualitative wie eine quantitative Bestimmtheit auf. Nur in der<br />
Abstraktion läßt sich das eine vom anderen ablösen. Solche Abstraktion - wie sie besonders<br />
die Naturwissenschaften mit ihren quantifizierenden mathematischen <strong>und</strong> statisti-<br />
81<br />
6 ibd. 348.<br />
7 Konstantinow, S. 124.