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Marxismus und Anthroposophie - Institut für soziale Gegenwartsfragen

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abhängigen Angebotsmengen bzw. Stückkosten wird natürlich auch die „wertbildende<br />

Spannung“ entscheidend beeinflußt.<br />

Umgekehrt scheint Steiner bei Marx eine Abhängigkeit der Wertgröße vom faktischen<br />

Arbeitsaufwand anzunehmen, die so nicht vorliegt: Auch bei Marx bildet Arbeit, die auf<br />

ein nutzloses Produkt angewandt wurde, keinen Wert, „zählt nicht als Arbeit“; ein Überangebot<br />

(„zu schwache wertbildende Spannung“) bedeutet, daß ein zu großer Teil der<br />

gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in der betreffenden Produktion angewandt worden<br />

ist, <strong>und</strong> das kommt auf dasselbe hinaus, als wenn der einzelne Produzent mit seiner Produktionszeit<br />

über der „gesellschaftlich notwendigen“, so der Marxsche Schlüsselbegriff,<br />

liegt. 7<br />

Wenn man unter „Arbeitswerttheorie“ die Auffassung versteht, daß nur lebendige<br />

menschliche Tätigkeit als Quelle der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung gelten darf,<br />

obwohl der Augenschein zu lehren scheint, daß auch Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden, Wertpapiere,<br />

Geld usw. auf dem Gr<strong>und</strong>stücks-, Aktien-, Devisenmarkt usw. ihren Preis erzielen, ja „im<br />

Wert steigen“, dann ist Steiner als Vertreter der Arbeitswertlehre einzuordnen. 8 Wenn die<br />

genannten Dinge, <strong>und</strong> auch die menschliche Arbeit bzw. Arbeitskraft, wie Waren gehandelt<br />

werden <strong>und</strong> damit ihren Preis erzielen, so gilt Steiner dies als verkehrter Zustand, der<br />

die tatsächlichen Verhältnisse objektiv verschleiert, denn in Wirklichkeit findet hier im<br />

Sinne der Dreigliederung ein Überlappen des Wirtschaftslebens in das rechtliche Gebiet<br />

statt: Was aus den Impulsen des Rechtslebens allein gestaltet werden müßte, wird zum<br />

Objekt der Ökonomie, zur verkäuflichen Ware: ein Handel mit Rechten im weitesten Sinne<br />

findet statt. Und dieser „desorientiert den gesamten Wirtschaftsprozeß. Denn die<br />

Rechte fallen denjenigen zu, die das meiste Geld da<strong>für</strong> bieten. Dies sind aber durchaus<br />

nicht unbedingt auch diejenigen, die faktisch kompetent sind, das betreffende Recht<br />

wahrzunehmen bzw. einen legitimen Anspruch darauf haben.“ So J. Huber, der zugleich<br />

feststellt, man hebe aber „die faktische Gültigkeit der Arbeitswertlehre nicht auf, wenn<br />

man sie normativ mißachtet“. 9<br />

Daß allein Arbeit wertvoll sei, da<strong>für</strong> spricht der sogenannte „analytische Beweis“ der<br />

Arbeitswerttheorie: „arbeitstechnisch gesehen lösen sich alle Waren ad infinitum auf in<br />

das Werk menschlicher Arbeit; finanztechnisch gesehen, lösen sich alle Preise ad infinitum<br />

auf in Personalkosten.“ 10 Doch sagt dieses Daß noch nichts aus über das Wie der<br />

Bewertung. Was diese zweite Seite angeht, so spielen bei Steiner normative Gesichtspunkte<br />

eine weit größere Rolle als bei Marx. Das Wie der Wertbemessung hat immer<br />

auch etwas mit Verhandeln, mit Kompromiß- <strong>und</strong> Konsensfindung zu tun, wobei deren<br />

Spielraum natürlich von faktischen ökonomischen Gegebenheiten abhängig ist. Die<br />

Volkswirtschaftslehre kann sich der Frage nach den (objektiven) Kriterien einer der<br />

volkswirtschaftlich richtigen (gerechten) Preisbildung nicht entziehen: Steiner stellt gerade<br />

sie in den Mittelpunkt seines ,Nationalökonomischen Kurses‘. Nicht nur, was die Einschätzung<br />

der faktischen Verhältnisse angeht, auch unter dem normativen Gesichtspunkt<br />

ist die Auffassung von der Arbeit als einziger Quelle des Werts durchaus nicht notwendig<br />

zu verbinden mit der anderen Auffassung, daß deshalb Arbeitszeit als Maß der Werte<br />

fungieren muß, obwohl in der Geschichte der Arbeitswerttheorie dieses „Junktim“ eine<br />

Rolle gespielt hat. Gemäß dem Doppelcharakter der Ökonomie als theoretische <strong>und</strong><br />

praktische Wissenschaft hat nämlich diese Theorie nicht nur den Charakter einer Erklärung<br />

des faktischen Zustandekommens der langfristigen Gleichgewichtspreise, sondern<br />

häufig auch die einer Formel des gerechten oder „natürlichen“ Preises gehabt, die besagen<br />

will, daß die richtigste Preisbemessung sich am Arbeitsaufwand orientiert, also Produkte,<br />

in denen gleichviel Arbeit steckt, gleichwertig sind bzw. sein sollen. 11<br />

Ein richtiger Preis ist nach Steiner dann vorhanden, wenn jemand <strong>für</strong> sein Erzeugnis<br />

so viel als Gegenwert erhält, daß er davon mit den von ihm abhängigen Angehörigen<br />

solange existieren kann, bis er ein gleiches Erzeugnis hergestellt hat. Diese „Lohnformel“<br />

sei erschöpfend, so abstrakt sie sei. Es handelt sich wohlgemerkt nicht um eine ethische<br />

Maxime, sondern um die Beschreibung einer objektiven volkswirtschaftlichen Notwendigkeit,<br />

die sich bei Verletzung der Norm als faktisch eintretende Schädigung sozialorganischer<br />

Prozesse auswirkt. Bei der „Lohnformel“ gilt: „Wenn jemand ein Paar Stiefel verkauft,<br />

so ist die Zeit, in der er sie verfertigt hat, durchaus nicht maßgebend, sondern<br />

7<br />

S. MEW 23, S. 55, 224 f.; Steiner, a.a.O., S. 24, nennt die Marxsche Betrachtung „kolossalen Unsinn“.<br />

8<br />

So auch Huber 1979, S. 156.<br />

9<br />

Huber 1978, S. 145f.<br />

10<br />

ibd., S. 143.<br />

11<br />

Vgl. Hagemann u.a. 1975 <strong>und</strong> das i.ü. sehr problematische Buch von Becker 1972.<br />

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