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Abstrakte Kunst und Wirtschaftswunder 155<br />
Die „Kulturnation“ als Code der nationalen Identit t ist zwischenzeitlich mit dem Code<br />
„Wirtschaftsnation“ konfrontiert, und ungegenst ndliche Kunst steht formal in der N he<br />
zu vielen der neuen technischen G ter. In den Augen der bildungsb rgerlichen Gegner<br />
der abstrakten Kunst ger t durch diese Vergleichbarkeit der gesamte Code „Kulturnation“<br />
in Gefahr. Auf diesen Vorwurf k nnen die Teilnehmer des Darmst ter Gespr<br />
ches noch keine befriedigende Antwort geben. Sie gehen immer noch davon aus, daß<br />
das Unbehagen 17 an der modernen Kunst in einer Technikfeindlichkeit wurzelt und<br />
schlagen eine neuerliche Synthesis vor, um diesen „Bruch“ und das geforderte „Opfer“<br />
stets erneuern zu k nnen. Daß Sedlmayr die Technik nicht mehr als Bedrohung, sondern<br />
als formale und symbolische Konkurrenz f r die Vorbildlichkeit der Kunst f r den<br />
„Aufbau“ betrachtet, entgeht den Diskussionsteilnehmern.<br />
Es habe in jener Zeit eine F lle verschiedener Kulturrichtungen gegeben, so Jost Hermand:<br />
„einen modisch bewegten Stromlinienstil im Rahmen des Designs und der Innenausstattung,<br />
eine vom repr sentativen Monumentalismus bis zum puren N tzlichkeitsdenken<br />
reichende Architektur, eine ins Triviale verflachte Kommerzkunst innerhalb der<br />
sich schnell ausbreitenden Massenmedien, einen halb eskapistischen, halb regressiven<br />
Kulturkonservativismus und eine sich in mehrere Spielarten aufspaltende modernistischelit<br />
re Kunst.“ (Hermand 1989, 308) Er attestiert diesen scheinbar divergierenden<br />
Richtungen als einzige Gemeinsamkeit, daß sie sich verabschiedeten von der „Forderung<br />
nach jener nationalen oder gesamtgesellschaftlichen 'Hohen Kunst f r jedermann', wie sie<br />
in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als die Massenmedien noch eine relativ untergeordnete<br />
Rolle spielten, fast alle anspruchsvollen Kulturtheoretiker - ob nun Christen, Humanisten,<br />
Marxisten, alte V lkische oder Vertreter der Inneren Emigration - erhoben hatten.“<br />
(Hermand 1989, 309; vgl. auch 1980, 10)<br />
Jost Hermand ist entgangen, daß die Vertreter der abstrakten Kunst diesen Anspruch<br />
durchaus auch in den 50er Jahren noch verfolgten. 18 Seine Fokussierung auf ein tradiertes<br />
Modell von „Hoher Kunst“ l ßt ihn auch bersehen, daß einige der von ihm als so<br />
unterschiedlich eingesch tzten Spielarten der Kultur sich im Konzept der abstrakten<br />
17 Das Unbehagen an der modernen Kunst ist der Titel eines Aufsatzes von Gustav Friedrich Hartlaub,<br />
des ehemaligen Direktors der St dtischen Kunsthalle in Mannheim, aus dem Jahr 1948, in dem er die<br />
moderne Kunst verteidigt.<br />
18 Zwar ist seine Feststellung zu teilen, daß es in den Jahren 1950 bis 1955 zu einer „auff lligen Zur<br />
ckdr ngung des bisherigen Stilpluralismus und einer fortschreitenden Standardisierung eines neuen<br />
Stils der mehr oder minder totalen Gegenstandslosigkeit“ (1991, 142) gekommen ist. Die Ursachen<br />
und der Prozeß dieser Entwicklung sind damit aber noch nicht gekl rt.