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Textdokumentation 221<br />
versuchen (Franz Roh). Es ist daher auch ein vergebliches Bem hen, hier erzieherisch ansetzen zu<br />
wollen. Das Problem liegt tiefer.<br />
Es ist daher auch durch rein theoretische Methoden nicht m glich, eine Richtung aufzudecken<br />
oder einen Weg zu weisen, wie die Entwicklung weitergehen soll. Heilung und Erl sung von einem<br />
unhaltbaren Zustand kann sich daher auch nie in einem einfachen "zur ck" auswirken, wie das oft empfohlen<br />
wird, z. B. in der R ckkehr zur Religion oder zur "Humanit t". Eine R ckkehr zum status quo<br />
ante ist berhaupt nie m glich. Jedes erreichte Stadium erfordert ein neues, bisher noch nicht vorhandenes<br />
mit neuen Gesetzen und neuen Blickpunkten, die durch die Situation der Zeit neu geschaffen werden<br />
m ssen. In der kulturellen Entwicklung gibt es keine Zuf lligkeiten. Wir haben keinen direkten Einfluß<br />
darauf. Insofern ist allerdings Spenglers These richtig, daß Kulturen nach ihren eigenen Gesetzen wie<br />
ein lebender Organismus bl hen und vergehen, sich entwickeln nach ihren ihnen innewohnenden Tendenzen.<br />
So ist die "Entinnerlichung" zwar einesteils sekund r entstanden als Folge der schweren Kriegsereignisse<br />
und der sozialen Not, wobei eine gewisse Abstumpfung eine notwendige und zweckm ßige<br />
Voraussetzung der Lebenserhaltung (materiell und seelisch) darstellt. Andererseits hat diese Abstumpfung<br />
auch wieder prim r die Ereignisse mit heraufbeschworen. Ursache und Wirkung solcher Einzelsymptome<br />
herauszudifferenzieren, ist unm glich. Es ist vielmehr so, daß die zwangsl ufig kulturpolitisch<br />
sich entwickelnden Tendenzen auf verschiedenen Wegen zu ihrer Verwirklichung dr ngen, so<br />
daß Ursache und Wirkung ineinander bergehen.<br />
Die "Entinnerlichung", das Zur cktreten des Gef hls, ist sicher prim r eine Erscheinung unserer<br />
heutigen Situation. Sie faßt aber negatives und positives in sich. Sie stimmt zwar mit dem Wachsen der<br />
rationalistischen Tendenzen des abgelaufenen Zeitalters berein, hat Beziehungen zur materialistischen<br />
Auffassung und steht mit der an sich zu beklagenden Kollektivierung in Zusammenhang. Von der<br />
anderen Seite aus betrachtet schließt dies aber positive Werte ein. Der einzelne nimmt sich nicht mehr<br />
das Recht, seine Interessen und pers nlichen Erlebnisse in den Mittelpunkt des Weltgeschehens zu<br />
stellen, wie dies am extremsten bei der berwertigen Idee des Paranoikers (Michael Kohlhaas) der Fall<br />
ist. Die Bezeichnung egozentrisch enth lt f r uns heute ein negatives Werturteil. Weiterhin bedeutet die<br />
"Entinnerlichung" gerade auch auf dem Gebiet der Kunst eine Entschlackung und Reinigung von sentimentalen<br />
Gef hlsmomenten, die echtem und großem Erleben nie dienlich sind. Uns interessiert heute<br />
nicht mehr die Pubert tskrise oder der Ehekonflikt oder das Gesellschaftsdrama. Es gen t nicht mehr.<br />
Es sind bekannte Dinge und erlebte Reaktionen. Wir m chten mehr, r cken ab vom zuf lligen Geschehen<br />
(Konflikt), sehnen uns nach einer ber das zuf llige Erlebnis hinausweisenden Ordnung, nach geistigen<br />
Ausblicken, die f r uns in diesem ußerlichen Chaos eine geistige Welt bedeuten. Deswegen<br />
lieben wir heute wieder Goethe und verneinen Schnitzler und Strindberg. Die sinnlichen Z e, die bei<br />
fast aller Kunst der Jahrhundertwende mitspielen (z. B. "die S nde" von Stuck) sind [Seite 127:] ichbezogene<br />
Erlebnisdarstellungen und nicht mehr. So weist die abstrakte Malerei als reine Formkunst<br />
vielmehr ber die kreat rlich gebundene Gef hlswelt hinaus, indem sie diese nicht zum Objekt der<br />
Darstellung macht, sondern sie außerhalb des Werkes l ßt, sie nur als Ferment, als Motor benutzt.<br />
Die Bezeichnung "Entinnerlichung" setzt voraus, daß es ein Außen und ein Innen gibt. Die Welt<br />
des materiellen und die des lebendig-beseelten. Nun ist diese Ansicht ein wenig ins Schwanken geraten.<br />
Die so oft in diesem Zusammenhang zitierte moderne Physik und die daran ankn fenden philosophischen<br />
Folgerungen haben, wenn auch vorerst nicht scharf formuliert, diese Grenze verwischt, indem sie<br />
die Materie im alten Sinne aufl sten. Die geistigen Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt sind auch<br />
in der modernen Erkenntnistheorie (N. Hartmann) einer neuen Kritik unterzogen, die ber den kritischen<br />
Idealismus Kants hinwegweist. Auch in dem sp ten Werk Rilkes ("Welt ist außen, Welt ist<br />
innen") deuten sich hnliche Tendenzen an. Die medizinische Philosophie von Wei ckers unterzieht<br />
ebenfalls die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt einer neuen Betrachtungsweise, erstmalig das<br />
Subjekt in die Fragestellung einbeziehend.