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Abstrakte Kunst als Modell einer neuen Ordnung 39<br />

alle L en wahrgemacht werden. Die Nazis haben das Bewußtsein der Deutschen vor<br />

allem dadurch gepr gt, daß sie es darauf getrimmt haben, die Realit t nicht mehr als Gesamtsumme<br />

harter, unausweichlicher Fakten wahrzunehmen, sondern als Konglomerat<br />

st ndig wechselnder Ereignisse und Parolen, wobei heute wahr sein kann, was morgen<br />

schon falsch ist.“ (1993, 30 f.; vgl. auch 46 f.) Die Welt erschien, gerade f r die j ngere<br />

Generation, anhand der Kategorie „Wahrheit“ nicht mehr strukturierbar. Was die gr te<br />

Zeit ihres Lebens in ihrem Umfeld als Wahrheit gegolten hatte, wurde nun als Verbrechen<br />

aufgedeckt. „Die j ngere Generation scheint wie versteinert zu sein und ist unf hig,<br />

sich auszudr cken oder einen zusammenh ngenden Gedanken zu fassen“, beobachtete<br />

Arendt (32) und folgerte: „Der Totalitarismus vergiftet die Gesellschaft bis ins Mark.“<br />

(65) Dieser „nihilistische Relativismus“ (30), den man auch als Identit tsverlust verstehen<br />

kann, leistete offenbar der schon angesprochenen Leugnung der nationalsozialistischen<br />

Vergangenheit durch den R ckgriff auf „tiefere“ Wahrheiten Vorschub. Arendt sprach<br />

diese Tendenz anhand der Frage nach der Kriegsschuld an: „Der Durchschnittsdeutsche<br />

sucht die Ursachen des letzten Krieges nicht in den Taten des Naziregimes, sondern in<br />

den Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies gef hrt haben.“<br />

(26)<br />

Man k nnte sich theoretisch eine Solidarit t der Kriegsverlierer, der Trauernden oder<br />

Reuigen vorstellen. Doch angesichts der gewaltigen Fl chtlingsstr me und im Bewußtsein,<br />

unter T tern zu leben, war dies anscheinend nicht m glich. Außerdem w re hierf r<br />

ein Bekenntnis zu der gemeinsamen j ngsten Geschichte Voraussetzung gewesen. Das<br />

Trauma des verlorenen Krieges und des verlorenen Ideals Nationalsozialismus ließen eine<br />

so schmerzliche Identit t offenbar nicht zu. „[N]irgends wird dieser Alptraum von Zerst<br />

rung und Schrecken weniger vers rt und nirgendwo wird weniger dar ber gesprochen<br />

als in Deutschland“, beobachtete Hannah Arendt anl ßlich ihres Aufenthalts in<br />

Deutschland 1949/50 (1993, 24). Sie konstatierte große Gleich ltigkeit und Apathie,<br />

Gef hlsmangel und Herzlosigkeit (vgl. 24 f.) als Folge einer „Flucht vor der Wirklichkeit“,<br />

5 die „nat rlich auch eine Flucht vor der Verantwortung“ ist (26). Auch Alexander<br />

und Margarete Mitscherlich haben gezeigt, daß von einer kollektiven Verdr ngung des<br />

Nationalsozialismus auszugehen ist, die sich u. a. in einer baldigen Derealisation des Ge-<br />

5 Eine st dtische F rsorgerin aus D sseldorf berichtet am 2.6.47 an den Sozialminister der<br />

Verwaltungseinheit: „Die zunehmende Vergn ngssucht bei alt und jung [...] ist im Grunde die<br />

Sehnsucht, ber den entsetzlichen Alltag hinaus einmal etwas anderes zu erleben. Es ist dabei<br />

erfreulich, daß gerade auch f r ernsthafte Veranstaltungen Zeit, Geld, und oft sogar die letzte<br />

Zigarette (zu der Beschaffung einer Eintrittskarte) geopfert wird.“ (zit. nach Schubert 1986, 155)

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