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Vom Kunstwunder zum Fr uleinwunder 191<br />
nicht-sprachliche Ebene garantierte zugleich eine Massenteilnahme und sorgte f r eine<br />
schnellere Verbreitung der Information (vgl. Giesen/Junge 1991, 297).<br />
Theoretisch erf llte sich in dieser Parallelentwicklung einer Formensprache in Kunst und<br />
Produktgestaltung eine der Utopien der Moderne; es sollte eine Formensprache<br />
entwickelt werden, die sich in allen Lebensbereichen durchsetze. 4 Doch wenn Utopien<br />
sich erf llen, sind sie keine Utopien mehr (vgl. Wyss 1985, 315; Gombrich 1978, 256),<br />
und sie werden von Diskursen abgel st, die den urspr nglichen utopischen oder<br />
avantgardistischen Anspruch als verfehlt ansehen. 5<br />
Die Erweiterung der nationalen Codierung der abstrakten Malerei durch Elemente der<br />
Codierung der „Wirtschaftsnation“ war m glich, indem eine gemeinsame Schnittmenge<br />
in der „Form“ behauptet wurde. Dies f hrte letzten Endes dazu, daß die „Form“ nicht<br />
mehr unverwechselbar war. Grunds tzlich konnte sie sowohl f r die „Wirtschafts-“ als<br />
auch f r die „Kulturnation“ stehen, ihre Decodierung war nun allein vom Autor bzw.<br />
vom Kontext abh ngig. Außerhalb eines kulturellen Kontextes wie der Ausstellung in<br />
Recklinghausen wurde die kultur konomische Grenze zwischen Kunst und Design unscharf.<br />
„Kulturelle Werte, die in den profanen Raum gelangt sind, h ren auf, Werte zu<br />
sein, und werden profan. [...] So b ßen auch wertvolle Dinge der Kultur, wenn sie ins<br />
Massenbewußtsein oder in die Serienproduktion gelangen, ihren besonderen Platz im<br />
valorisierten kulturellen Kontext ein, der ja im Grund ihren Wert bestimmt.“ (Groys<br />
1992, 105; vgl. auch Eco 1989b, 260) In den Debatten ber die abstrakte Kunst wurde<br />
die formale berschneidung folglich als Abwertung der „hohen“ Kunst diskutiert. Schon<br />
1950 in den Darmst ter Gespr chen formulierte Sedlmayr diese Gefahr (vgl. in Evers<br />
1951, 54; siehe S. 151 f.). Sahl kritisierte 1954, die abstrakte Kunst bringe vielleicht<br />
„genau das hervor, wogegen sie sich am meisten verwahrt hatte: ein neues Kunstgewerbe.<br />
Kandinskys Traum vom 'Geistigen in der Kunst' endete dort, wo die Mystik zur<br />
Arabeske wurde und die Tendenz zur 'Verinnerlichung' in ihr Gegenteil umschlug und<br />
mitwirkte - an der Entstehung eines neuen dekorativen Stils, der seitdem der Stil unseres<br />
4 Man kann diese Utopie als die des Gesamtkunstwerkes verstehen, wenn man sie im Sinne Bazon<br />
Brocks (1983) als Aufzeigen des Ganzen im einzelnen Kunstwerk sieht und nicht verwechselt mit<br />
„Totalkunst“ (30).<br />
Zum utopischen Gehalt der Gemeinsamkeiten von Malerei und Design in der Nachkriegszeit vgl. auch<br />
K rner 1996, 17 f. und Wessel 1996, 98.<br />
5 Br erlin weist darauf hin, daß aus der Sicht der autonomen Kunst die Verquickung von Ornament<br />
und Avantgarde Zeichen f r die Aufgabe des avantgardistischen, utopischen Impulses ist (1993, 108).<br />
Diese Aussage ist letztlich nur ein Zeichen daf r, daß das hohe Projekt der Moderne, Kunst und<br />
Alltag in einem Gesamtkunstwerk zu erfassen und zu formen, nicht realisierbar ist, zumindest nicht<br />
mit dem parallelen Anspruch, Avantgarde zu sein (vgl. Wyss 1985, 315).