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Kapitel 4<br />
Malerei berschneiden: Demnach ist die abstrakte Malerei legitime Erbin einer weitreichenden<br />
deutschen Kulturtradition und gleichwohl eine parallele Entwicklung zu den<br />
technischen Errungenschaften der Moderne. In einer schematischen Darstellung (Abb.<br />
36) skizzierte Willi Baumeister auf dem Darmst ter Gespr ch 1950 den Vorwurf des<br />
„Verlusts der Mitte“ und gibt gleichzeitig eine Charakterisierung des mit der abstrakten<br />
Kunst identifizierten Wertespektrums, das er durch die Sichtweise Sedlmayrs gef hrdet<br />
sieht: „Toleranz, freies Denken, freies Schaffen, moderne Humanit t, moderne<br />
Wissenschaft, moderne Kunst, soziale Werte, Demokratie, Goethe, Schiller usw., Kant,<br />
Hoelderlin usw., Mozart, Beethoven, Strawinsky usw., Cezanne, Picasso, Klee.“ (vgl.<br />
Evers 1951, 137) Die abstrakte Kunst steht also in den Augen Baumeisters l ngst nicht<br />
mehr nur f r die traditionellen Werte des „deutschen Geistes“, sondern auch f r eine<br />
Vers hnung mit der modernen Wissenschaft, Demokratie etc. Ihre Codierung soll auf der<br />
einen Seite den - nunmehr erneuerten und aktualisierten - Code „Kulturnation“ und auf<br />
der anderen Seite - wie noch zu zeigen sein wird - eine Teilhabe an der großen Bedeutung<br />
des wirtschaftlichen Aufschwungs sichern, unter dessen Einfluß Technik und<br />
Zivilisation nun nicht mehr nur negativ eingestuft werden.<br />
Dieser Anpassungsprozeß des Codes ging nicht ohne Reibungen vonstatten. ber die<br />
abstrakte, moderne Kunst wurde immer wieder ffentlich gestritten. Das kulturelle Feld<br />
war in Bewegung, und zwar - und dieser Aspekt wird bislang weit untersch tzt - ber die<br />
Grenzen der jeweiligen Disziplin und „Teilkultur“ und weit ber die Grenzen der<br />
Gattungen hinaus.<br />
Grunds tzlich k nnte der Diskussionsbedarf ber die abstrakte Kunst darauf hinweisen,<br />
daß es sich um einen schlecht angepaßten Code handelte, ich erinnere: „Gut angepaßte<br />
Codes beschleunigen die Interaktionsprozesse und reduzieren die Komplexit t der Situation<br />
erfolgreich.“ (Giesen/Junge 1991, 258) In der Tat steht die Codierung der abstrakten<br />
Kunst f r einen extremen argumentativen Spagat. Genau dies aber, so meine These, war<br />
in diesem Fall, in dieser Situation von Vorteil: Die Funktion eines Codes besteht darin,<br />
komplexe Situationen vereinfachend darzustellen. Was h tte den zwiesp ltigen Alltag in<br />
der BRD der fr hen 50er Jahre treffender darstellen k nnen als eine Kunst, in der dieser<br />
Bruch diskutierbar blieb und gleichzeitig (scheinbar) z berbr cken war?<br />
Die Debatten ber die abstrakte Kunst sind aus dieser Perspektive integraler Bestandteil<br />
des Codes, oder anders gesagt: ohne den Streit h tte die abstrakte Kunst niemals die<br />
Bedeutung erlangt, die ihr in den 50er Jahren zuwuchs.