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Vom Kunstwunder zum Fr uleinwunder 203<br />
lichen Perspektive wurden nun „hohe“ Kunst, das Individuum, geistige Werte und<br />
„M nnlichkeit“ auf einer Seite gegen Wirtschaft, die Masse, Materialit t und „Weiblichkeit“<br />
auf der anderen gesetzt, 33 beide Seiten berschnitten sich in der abstrakten Formensprache.<br />
Die noch heute aufkommenden Assoziationen zu K rperlichkeit und Sinnlichkeit<br />
des neuen Designs - Selden spricht beispielsweise von „einer Gl tte, die teilweise an<br />
jene der Haut erinnert“ (1992, 121), von „Tastfreuden“ (122), die diese Produkte versprachen<br />
- unterst tzten diese Phantasie: die biomorphe Form, die Farbigkeit, die Sinnlichkeit<br />
der Oberfl hen schien eine berschußbedeutung zu produzieren, die die Koalition<br />
aus geistiger und funktionaler Ordnung, welche die „gute Form“ noch zu vermitteln<br />
behauptete, unterlief. 34 Sinnlichkeit, K rperlichkeit, Weiblichkeit - die abstrakte (biomorphe)<br />
Form evozierte aus dieser Perspektive das bef rchtete „Chaos“, sie ist das<br />
Gegenteil des „Geistigen“, sie wurde mit mater und Materie assoziiert. 35<br />
Die vielversprechende Verkn fung von angestrebtem Kunst- und absehbarem Wirtschaftswunder<br />
barg in den Augen der traditionellen H ter der „Kulturnation“ eine<br />
„nationale“ Gefahr. Und tats hlich waren Mitte der 50er Jahre in der Debatte ber die<br />
abstrakte Kunst nicht nur Stimmen gegen das „weibliche“ Kunsthandwerk, sondern auch<br />
gegen die USA zu vernehmen. Immer wieder wurden amerikanische Verh ltnisse als<br />
Spitze des Eisberges beschrieben und diffamiert: „Unsere Zeit aber hat das ihr gem ße<br />
Ornament gefunden, vor allem in Amerika, wo die Anregungen, die von der gegenstandslosen<br />
Kunst ausgingen, auf die verschiedenste Weise verarbeitet wurden: in der Plakatkunst,<br />
in den Lichtarchitekturen der St dte und Highways, in den Stoffentw rfen, die<br />
den Einfluß Mondrianscher oder Kandinskyscher Motive unschwer erkennen lassen, in<br />
der Fabrikation von Lampen, Sch sseln, Eßger ten, Schreibmaschinen und anderen Bedarfsartikeln“<br />
(Sahl 1954, 357). Karl Hofer beklagt, daß „auch das, was bislang unter<br />
Behauptung, an der modernen Kunst w re im Grunde nichts dran.“ (K. Pawek: Der moderne Stil<br />
wird konventionell. In: Magnum, 1959, Nr. 25, S. 42; zit. nach Borngr ber 1985, 244)<br />
33 Diese f r unser Verst ndnis verbl ffende Zuordnung wurzelt in einer tiefen Technik- und Wirtschaftsfeindlichkeit,<br />
die vom deutschen Bildungsb rgertum im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und<br />
bis nach 1945 Bestand hat (vgl. hierzu Sieferle 1984, Sch ler 1990 und Giesen 1993).<br />
34 Erstaunlicherweise verl uft diese „sinnliche“ berschußbedeutung der Stromlinienform kontr r zu<br />
ihrer urspr nglichen Funktion der Effizienzsteigerung.<br />
35 Eine sthetische Parallele zu dieser Bedrohlichkeit hat die K nstlerin Anna Blume in ihrem Buch Die<br />
reine Empfindung (1994) pr sentiert, indem sie Zitate klassischer Avantgarde nstler mit Fotografien<br />
kontrastierte, auf denen ausschnitthaft weibliche Oberk rper zu sehen sind, die mit den Werken<br />
jener K nstler bedruckte Textilien tragen.