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Textdokumentation<br />

Das Anonyme in der abstrakten Malerei findet seine Best tigung auch auf geistigem Gebiet. Die<br />

Zeit eines betonten Individualismus ist vorbei. Ob wir es wollen oder nicht: das Zeitalter ist mehr oder<br />

weniger gekennzeichnet durch den Zug eines Kollektivismus, nicht nur in sozialer, sondern auch geistiger<br />

Hinsicht. Es hilft dem Individuum nichts, sich davon distanzieren zu wollen. Die Vermassung (vgl.<br />

Ortega y Gasset) ist eine Welterscheinung, aus der vorl ufig sich kein Ausweg abzeichnet. Aber auch in<br />

geistiger Hinsicht entsteht zwangsl ufig eine Nivellierung. In einer Zeit, die materiell und geistig so<br />

kompliziert ist wie die unsere, in der der Umfang des vorhandenen Wissensgutes eine solche H he erreicht<br />

hat, ist es kaum mehr m glich, sich aus dieser Gebundenheit zu befreien und die einzelnen Disziplinen<br />

selbst zu erarbeiten. In unserem "feulletonistischem [sic] Zeitalter", wie Hesse es nennt, wird<br />

der Durchschnittsmensch - und das ist jeder außerhalb seines speziellen Fachgebietes - gezwungen, sich<br />

mehr referierend unterrichten zu lassen. Das aber zwingt wiederum zu einer Nivellierung auch auf geistigem<br />

Gebiet, wobei zwangsl ufig auch die Urteilsbildung nach allgemeinen Normen beeinflußt wird.<br />

Dieser Tendenz, der L sung von dem berz chteten Individualismus der vergangenen Jahre,<br />

kann sich auch der K nstler nicht entziehen. Das Abr cken [Seite 125:] vom Gegenstand, der Natur,<br />

dem Zuf lligen, dem pers nlichen Erlebnis, ist ein Weg zur Anonymit t. Vielmehr ist im modernen<br />

Kunstwerk die ganze Problematik unserer Zeit enthalten, wird darin gesammelt und sichtbar gemacht.<br />

Deswegen decken wir ja auch die Beziehungen zu anderen geistigen Disziplinen auf. Wenn wir trotzdem<br />

die Pers nlichkeit des K nstlers im Werk enthalten finden, so scheint das auf den ersten Blick ein<br />

Widerspruch zu sein. Aber nur auf den ersten Blick. Wir m ssen dazu etwas weiter ausholen.<br />

Die abstrakte Malerei behauptet von sich, sie sei "reine Formkunst". Sie habe nicht die Absicht,<br />

"etwas" darzustellen, sondern die Form herrsche autonom. Sie sei llig entschlackt nicht nur von ußeren<br />

und inneren Erlebniszuf lligkeiten, sondern auch von Gef hl. Sie sei "reine" Form. Es f llt uns<br />

schwer zu glauben, daß eine Form ohne seelische Attribute die geistige Welt in den letzten Jahrzehnten<br />

so in Erregung zu bringen vermochte, nicht nur im Sinne des Protestes, sondern eben auch der positiven<br />

Zustimmung.<br />

Dieses Merkmal der abstrakten Malerei scheint auf den ersten Blick in das Gebiet der Erscheinungen<br />

zu geh ren, die man in der Kulturphilosophie klagend als "Entinnerlichung" bezeichnet<br />

(Schweitzer, Lersch) und Heilmittel dagegen verordnet. Diese Bezeichnung ist aber irref hrend, da sie<br />

mit einer Wertung verbunden ist. Wir m ssen bei der Pr fung solcher Fragen, die Grunds tzliches ber<br />

hren, von vornherein jedes moralisierende Werturteil ausschalten und die Fragen zun chst sachlich zu<br />

beantworten versuchen. Moral ist im Gegensatz zur Ethik zeit- und sozial bedingt. Ihre Gesetze ndern<br />

sich mit neuen Lebensformen. Gerade in einer Zeit des Umbruchs, wie wir sie erleben, ist es falsch und<br />

gef hrlich, moralisierende Maßst be anzulegen. Wir tun uns heut schon schwer genug damit, die geistigen<br />

Str mungen zu erkennen, widerspruchsvolles und einheitliches abzugrenzen, und sollten zun chst<br />

unsere Aufgabe nur in einer Erkenntnis suchen und jede qualitative Wertung zun chst unterlassen. Wir<br />

versprechen uns damit nur den Weg einer klaren Diagnose, die die Voraussetzung jeder Therapie bedeutet.<br />

Es gibt n mlich Erscheinungen, die ußerlich nach der blichen moralischen Wertung diametral<br />

verschieden sind, sachlich aber in das gleiche Gebiet geh ren. Das ist der Januskopf der Polarit t, daß<br />

jede Erscheinung eine wertm ßig positive und negative Auswirkung hat. Es entsteht bei solcher<br />

Betrachtung leicht der Fehlschluß, auf Grund solcher widerstrebenden Str mungen und Gegenstr mungen<br />

die Einheitlichkeit unseres Zeitalters zu bestreiten. Der scheinbare Mangel an Einheitlichkeit liegt<br />

aber nur darin begr ndet, daß eine richtunggebende Tendenz sich von den Gegenstr men noch nicht<br />

abgrenzen l ßt, da wir mitten im Strom stehen. Erst nach Beginn einer neuen Periode ist abschließend<br />

die vergangene z berschauen und vieles offenbart sich unter diesen neuen Wertungen als einheitlich,<br />

was unter den alten nicht unter einen Nenner zu bringen war, und wird folgerichtig auch erst dann allgemeinverst<br />

ndlich. Deswegen ist die Kritik einer zeitgen ssischen Kunst auch nie im letzten verbindlich.<br />

Das Fehlurteil der Zeitgenossen ist ein gesetzm ßiges Geschehen, wie immer wieder zu beobachten<br />

ist, auch wenn wir heute aus den Erfahrungen fr herer Generationen [Seite 126:] Lehren zu ziehen

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