Download (8Mb)
Download (8Mb)
Download (8Mb)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Textdokumentation 213<br />
6.1.2 Domnic ber den Zugang zum abstrakten Werk (1947a)<br />
ber den Zugang zum abstrakten Werk<br />
Man wirft der abstrakten Malerei immer vor, sie sei intellektuelle Kunst und nur verstandesm ßig zu<br />
erfassen. Ihr Werk er ffne sich nicht spontan, sondern erst ber die Kenntnis kunsttheoretischer und<br />
philosophischer Fragen, wie sie auch in diesem Buch angeschnitten werden. Diese Argumentation ist so<br />
verbreitet, daß sie nicht bersehen werden darf. Es leitet sich daraus die Kernfrage ab: Warum wird die<br />
abstrakte Malerei so h ufig mißverstanden, warum finden so wenige den Zugang zum Werk?<br />
Man kann diese Frage von vornherein einschr nken, wenn man Schopenhauer zitiert, der "Kunst<br />
nur f r bedingt mitteilbar h lt, indem die aufgefaßte und im Kunstwerk wiederholte Idee jeden nur nach<br />
Maßgabe seines eigenen intellektuellen Wertes anspricht". Aber intellektuelle Werte sind nicht das<br />
Entscheidende. Es w re arrogant und unpsychologisch, die Menschen, die mit abstrakter Kunst nichts<br />
anzufangen wissen, von vornherein als unzust ndig zu bezeichnen. Mit einer snobistischen Einstellung<br />
dem Publikum gegen ber ist nichts gewonnen. Außerdem finden sich ja unter den Ablehnenden h ufig<br />
sehr gescheite K pfe. Auch vorurteilsfreie junge Menschen suchen oft den Zugang zum Werk vergeblich.<br />
Daraus entstehen dann die bekannten Protestreaktionen. Diese Haltung sucht die Ursache nicht im<br />
Beschauer, sondern in der Kunstform. Das Publikum, zumal das geistig interessierte, ist dann verletzt,<br />
weil aus dem Nichtverstehen auf eine eventuelle Unzul nglichkeit geschlossen werden k nnte. Kein<br />
Mensch gesteht gern seine Insuffizienz ein. Um so weniger, wenn er sich ernsthaft um Erkenntnis und<br />
Verst ndnis bem ht.<br />
Die Ablehnung geschieht meist mit den Mitteln des Verstandes. Wir m ssen hier ein Vorurteil<br />
beseitigen, die Hochachtung vor dem Intellekt, der in nstlerischen Dingen nicht entscheidend ist.<br />
Ganz abgesehen davon, daß der Begriff Intelligenz sich aus vielen Einzelqualit ten zusammensetzt, die<br />
aber nicht alle [Seite 106:] eine gleich hohe Entwicklung zu zeigen brauchen, so ber hrt die Ausstrahlung<br />
eines Kunstwerks ja gar nicht diesen Sektor. Wie das Werk nicht mit den Mitteln des begrifflichen<br />
Denkens geschaffen wurde, so kann man es umgekehrt auch mit diesen Mitteln, d. h. auf verstandesm<br />
ßigem Wege, nicht voll erfassen. Vor das Erlebnis stellt sich hier der Intellekt. Es gibt keine allgemein<br />
ltige Verst ndigun ber ein Kunstwerk, da je nach der verschiedenen Verteilung intellektueller<br />
un nstlerischer Werte sowie seelischer Anlagen beim einzelnen Menschen eine spezifische Resonanz<br />
im Sinne einer spezifischen Erlebnisform entsteht. Auch intellektuelle Typen k nnen zwar zu Kunstwerken<br />
Stellung nehmen, aber das gelingt meist bei ihnen ber den Weg des begrifflichen Denkens, der<br />
Analyse. Das gef hlsm ßige Urteil ist ihnen fremd. Sie gelangen deswegen auch nur bedingt zum Erlebnis.<br />
Sie erfassen zwar Formen, Farben, Kompositionen, bleiben aber doch irgendwie vom Letzten<br />
unber hrt. Es wird bei diesen rein intellektuellen Typen selten zu klangvollen Resonanzen kommen.<br />
Dazu bedarf es eines anders besaiteten Organismus, den die Natur hier nicht bereitgestellt hat. Eine<br />
unmittelbare Empf ngnis verlangt ein besonderes Einf hlungsverm gen. Dieser Sensitivismus ist berhaupt<br />
die Voraussetzung f r die Nacherlebbarkeit eines Kunstwerkes. Er hat denselben Wert wie die<br />
musikalische Anlage. Viele Menschen tragen in sich unbewußt ein latentes K nstlertum, das sich zwar<br />
nie aktiv zu entfalten braucht, aber als aufnehmendes Organ bereitliegt. Es wird bei jeder Erregung in<br />
besonders lebendige Schwingungen versetzt. Das sind passive K nstlernaturen. Von diesen sensitiven<br />
bis zu den rein intellektuellen Typen gibt es alle Ueberg nge. Die Sensitiven urteilen nicht mit den Mitteln<br />
des Intellekts, sondern intuitiv. Es handelt sich bei ihnen nicht um ein begriffliches Erfassen, sondern<br />
um ein gef hlsm ßiges Urteilen nach dunklen Prinzipien, die nicht gedacht, sondern eben gef hlt<br />
sind. Die Erkenntnis ist hier intuitiver Art, hat aber durchaus Anspruch auf objektive G ltigkeit, d. h.<br />
sie ist in bezug auf die Wertung des Kunstwerkes gleichzusetzen mit intellektueller Kritik.<br />
Aber auch nstlerisch begabte Menschen, die mit Kunstwerken anderer Epochen ein enges Verh<br />
ltnis verbindet, stehen h ufig vor abstrakten Bildern ratlos. Ihre sonst sichere Intuition versagt hier.<br />
Sie sind urteilsunsicher. Warum? Ist die Intuition doch nicht das Entscheidende?