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Textdokumentation 211<br />

kl rte Haltung im Affekt, sondern man k nnte ihr auch vorwerfen, sie sei ein physiologischer Altersabbau<br />

und nur noch Fassade. Das klassische Olympiertum des alten Goethe atmet in seinem Werk gerade<br />

durch die bewußte Negation der subjektiven Gestaltung pers nlicher Erlebnisse Tiefe und Gr ße, aber es<br />

wirkte im Alltag mit seiner Abschn rung von pers nlicher Erlebnisbereitschaft kalt und be ngstigend.<br />

So hat auch die Abstraktion vom gef hlsm ßig-subjektiven in der Kunst bei oberfl chlicher Betrachtung<br />

etwas Be ngstigendes, und die formale Abstraktion ger t leicht in den Verdacht, nur Fassade zu sein,<br />

hinter der nichts steht. Franz Marc hat lange um diese Formulierung gerungen: daß in der modernen<br />

Kunst, wie sie ihm vorschwebte, nicht die Form etwas ist, hinter der das Erlebnis, der Inhalt steht, sondern<br />

daß Form und Inhalt das gleiche sind, untrennbar ineinander verwoben. Genau so (um die Analogie<br />

noch einmal anzuwenden), wie nach der modernen Physik nicht die Kr fte hinter der Materie stehen<br />

und sie formen, sondern identisch mit ihr sind, - wie in der Musik nicht die Harmonien einen textlichen<br />

Inhalt begleiten, sondern selbst Inhalt sind, - wie wir das G ttliche nicht als einen transzendenten Lenker<br />

außerhalb der Welt suchen, sondern immanent in ihr finden, - so steht auch in der abstrakten Malerei<br />

nicht das Erlebnis hinter der Form, sondern ist in der Form, in dem freien Schalten mit reinen Form-<br />

Farbelementen immanent enthalten, das man nicht erst aus der Form heraussch len muß. Und in diesem<br />

Sinn stecken in der abstrakten Malerei philosophische Werte.<br />

Die Erkenntnis, daß der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge ist, die uns auch aus der abstrakten<br />

Malerei anspricht, erscheint daher so bedrohlich und unheimlich, weil sie den sicheren Boden<br />

ersch ttert, den wir seit der Renaissance als die Beherrscher der Welt einzunehmen glaubten. Wenn sich<br />

Franz Marc von der Erb rmlichkeit des Menschen zum Tier wandte, wenn er sp ter schon im Kreat rlichen<br />

dieses Lebewesens nicht mehr die Erf llung fand, so bedeutet das aber kein Sich-L sen vom Leben,<br />

vom Gef hl im weiteren Sinne. Es ist ein Hinabsteigen zu den M ttern, zu den tieferen Wurzeln<br />

unserer Existenz ber unsere menschliche Begrenztheit hinaus. Pflanzenhaftes Wachstum, Triebkr fte<br />

der Erde, algenhafte Formen, Kristalle, Grundelemente der Welt, - der "Weltstoff" letztlich ist es, mit<br />

dem wir uns eins f hlen und den der abstrakte Maler zu gestalten sucht, nicht abzubilden, [Seite 19:]<br />

sondern neu zu bilden in einem souver nen Schalten mit Formen, die ihm eigen sind, die jeder nach<br />

seiner Natur sich neu erschafft. Sie ben tzen nicht gegebene Formen der Umwelt, sondern entwickeln in<br />

eigener Phantasie und reicher Erfindung Urformen, um berpers nliche Werte darzustellen. Ob dabei<br />

Gegenst ndliches anklingt oder eine neue Gegenst ndlichkeit aus prim r abstrakten Formen geschaffen<br />

wird, ist bei jedem K nstler individuell verschieden. Der Begriff der abstrakten Malerei wird davon<br />

nicht ber hrt.<br />

Es ist selbstverst ndlich privates Recht jedes einzelnen, diese Form der bildenden Kunst abzulehnen<br />

oder ihr gl ubig zuzustimmen. Jeder Mensch lebt in seiner Perspektive. Das ist kein Werturteil,<br />

sondern bezeichnet den Standpunkt und die seelische Anlage. Denn wir begegnen beiden Formen der<br />

Kunstauffassung, die wir im Expressionismus und der abstrakten Malerei, dem "ewigen Dualismus der<br />

Kunst", gegen berstellten, nicht nur beim K nstler, sondern auch beim Beschauer. Der eine sucht sein<br />

subjektives gef hlsm ßiges Erleben im Kunstwerk - schaffend oder aufnehmend - zu projizieren, der<br />

andere berpers nliche Werte. Die Psychologen bezeichnen das in der Aesthetik als Innenkonzentration<br />

oder Außenkonzentration (Geiger). Es sind zwei Typen von Erlebnisformen, mit deren Gegebenheit wir<br />

zu rechnen haben. Das erkl rt auch, warum so viele geistig un nstlerisch interessierte Menschen zu<br />

der abstrakten Malerei trotz lebhaftem Bem hen keinen Zugang finden. Zudem ist es bei der abstrakten<br />

Malerei bereits f r den Kenner schwierig, die Spreu vom Weizen, das Gemachte vom Gewachsenen zu<br />

unterscheiden. Die Ablehnung der abstrakten Malerei bedeutet oft eine Insuffizienerscheinung auf<br />

Grund einer Ratlosigkeit, Wertungen zu treffen. - Deswegen werden wir neben der abstrakten Kunst<br />

auch immer gegenst ndliche finden.<br />

Es w re naiv anzunehmen, man w rde durch Erkl rungen zu dem "Unbekannten" der Kunst vorstoßen<br />

oder das Werk erschließen. Man kann Kunstwerke historisch betrachten, sie einreihen, beschreiben,<br />

typisieren, wie es die Kunsthistoriker tun. Man kann auch ihre psychologischen und geistigen

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