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Abstrakte Kunst und Wirtschaftswunder 165<br />
Entwicklung gewaltsam unterbrochen. Der technische Fortschritt in den als Vorbild<br />
hingestellten USA ist in ihren Augen hingegen ein Beweis daf r, daß auch die geistige<br />
Entwicklung synchron verlaufen sei. Durch diese Argumentation behauptet sie den<br />
technischen Fortschritt als Indikator eines „geistigen Fortschritts“ und diesen wiederum<br />
als Voraussetzung des technischen Fortschritts.<br />
Das in beiden Untersuchungen formulierte „Chaos“ taucht auch 1952 im Recklinghausener<br />
Katalog wieder auf: Große Perdekamp schreibt von der „D monie“ der Industrialisierung,<br />
die die europ ische Kultur bedrohe. Das Chaos resultiere aus der „geistige[n] Unordnung<br />
in der menschlichen Gesellschaft und in ihrem Verh ltnis zu den neuen Dingen.“<br />
Nicht die neuen Dinge selbst seien also schuld an der Unordnung, sondern das Verh ltnis<br />
der Menschen dazu. Denn erst wenn „uns die Technik lebensnah, seelisch vertraut“<br />
(Große Perdekamp) geworden sei, k nne die D monie, k nne das Chaos berwunden<br />
werden. „Und zu allen Zeiten ist es die Aufgabe der Kunst gewesen, wie 'St. Hyronimus<br />
im Geh us' den L wen, die d monische Natur zu zwingen, friedlich zu unseren F ßen zu<br />
spielen.“<br />
Mit der Kenntnis der Ausf hrungen Domnicks und Rebays kann man die Beschreibungen<br />
des „Chaos“ bei Große Perdekamp ebenfalls als eine des Nationalsozialismus identifizieren.<br />
Es zeichnet sich ab, daß die bermacht der Technik als ein mit dem NS verkn ftes<br />
Ph nomen verstanden wird: Die Menschen liefen Gefahr, so Große Perdekamp, „unter<br />
der unbeherrschten Gewalt der Industrie einem Fatalismus zu verfallen.“ Eine Benennung<br />
unterbleibt, statt dessen wird - eine Verdr ngungsstrategie, die bereits bei anderen<br />
vorgestellten Autoren auffiel - der Faschismus als naturalisiertes Ph nomen entnannt: Die<br />
„allgemeine Technisierung unseres Lebens“ und das daraus resultierende Chaos werden<br />
als ein Naturph nomen, als „D monie“ beschrieben (vgl. auch Sieferle 1984, 234). Die<br />
Argumentationen Große Perdekamps treffen hier auf die in Deutschland seit dem ausgehenden<br />
19. Jahrhundert weit verbreitete Vorstellung eines technischen Determinismus,<br />
der in der Nachkriegszeit eine neuerliche Aktualit t erf hrt (vgl. Sch ler 1990, 203-213).<br />
Friedrich Georg J nger wird in seinem 1953 erscheinenden Buch Die Perfektion der<br />
Technik ebenfalls vom „d monischen Leben“ der Apparatur sprechen (zit. nach Sch ler<br />
1990, 209). Diese Naturalisierung als „Chaos“ macht sowohl die Frage nach den Ursachen<br />
des Faschismus als auch eine Frage nach m glichen nderungen dieser Entwicklun<br />
berfl ssig.