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Kapitel 4<br />
national codierten „objektiven Geist“ verstehen. Darstellungen wie die Hilla Rebays, die<br />
die „Geistigkeit“ eines Volkes und somit den Grad seiner Abkehr von den Verirrungen<br />
des NS an deren Zivilisation - und damit meint sie Elektroherde etc.! - messen, lassen<br />
dar ber hinaus den Schluß zu, daß die F higkeit, abstrakte Formen und Farben als<br />
„Geistiges“ zu verstehen und zugleich die Gegenst ndlichkeit zu „opfern“, als ein Gradmesser<br />
der berwindung des NS durch ein „besseres“ Deutschland gelesen wurde, und<br />
zwar in der bildenden Kunst wie im Design!<br />
„Ob eine solch sthetische Sensibilisierung gleichzeitig auch zu einer wissenschaftlichen<br />
oder sogar politischen und moralischen Sensibilisierung beigetragen hat, bleibt zu beantworten“,<br />
schreibt Horacek (1996, 181) zu Recht. V llig unabh ngig von dieser Fragestellung<br />
w rde ich die konstatierte „Sensibilisierung“ allerdings als eine Form des kulturellen<br />
Kapitals im Sinne Bourdieus (1982) bezeichnen und ihr somit durchaus eine soziale<br />
Wirksamkeit, unabh ngig von deren moralischer Beurteilung, zuschreiben.<br />
Doch die beschriebene Rezeptions sthetik nimmt noch eine andere Tradition auf, die<br />
paradoxerweise in der unmittelbaren Nachfolge des Nationalsozialismus steht. Die von<br />
Schulze Vellinghausen formulierte Vorstellung, vermittelt ber die „Form“ k nnten auch<br />
Gebrauchsgegenst nde an dem idealen „Geistigen“ teilhaben, perpetuiert die von Hein<br />
vorgestellte Strategie des Nationalsozialismus zur „Heroisierung und Verkl rung der<br />
weitgehend entzauberten Alltagsrealit t“ in der fi rlichen Darstellung durch eine bernahme<br />
und B ndelung der urspr nglich auf die ungegenst ndliche bzw. expressive Kunst<br />
gem nzten Utopien (Hein 1992, 213; siehe S. 68 f.). Groys bezeichnete das parallele<br />
Verfahren in der Sowjetunion als Antiavantgardistisch in der Form und avantgardistisch<br />
im Inhalt (1987). Man kann die Gebrauchsgegenst nde der 50er Jahre aus dieser Perspektive<br />
- in Anlehnung an Groys - als avantgardistisch in der Form und antiavantgardistisch<br />
im Inhalt bezeichnen oder - in Anlehnung an Hein - als eine Art zweiter „Magischer<br />
Realismus“ verstehen. Dieses Mal wird die bernahme allerdings - ausgel st durch<br />
die Konkurrenz zwischen „Kultur-“ und „Wirtschaftsnation“ - ber die Grenze des<br />
Bereiches „Kunst“ hinweg realisiert.<br />
Vermittelt durch die Instanz des sch pferischen K nstlers konnte die abstrakte Form nun<br />
als Zeichen f r die identifikatorische Domestizierung der Widerspr che zwischen „Kulturnation“<br />
und „Wirtschaftsnation“ als Spezifikum der jungen Bundesrepublik gelesen<br />
werden, sie wurde zu einem neuen, identit tsstiftenden Symbol westdeutschen Selbstverst<br />
ndnisses in der Wirtschaftswunderzeit.