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Textdokumentation 209<br />
einbezogen, verarbeiteten. Diese M nner waren berzeugte Antiexpressionisten und pflegten deswegen<br />
bewußt die Strenge und formale Ordnung. Dort liegen die Wurzeln der abstrakten Malerei.<br />
Es sind also grunds tzlich diese Lager zu trennen. Im Wesen haben diese beide [sic] Kunstformen<br />
nichts miteinander gemein. Deswegen kann ein abstrakter Maler auch kein Expressionist sein,<br />
wenn er konsequent ist. Ebenso gilt das aber auch umgekehrt. Eine Kombination dieser beiden Formen<br />
ist eigentlich nicht m glich. Wenn wir trotzdem "abstrakten Expressionisten" 1 begegnen, so beweist das<br />
nur, "daß es im Psychologischen keine Logik gibt" (Scheler). Wir haben aber angesichts dieses philosophischen<br />
Apercus den Verdacht, daß bei dieser Vermengung von abstrakten Formen und expressionistischen<br />
Gef hlsinhalten etwas nicht stimmt, daß bei einzelnen K nstlern, in deren Werk wir diese Vermengung<br />
(noch?) ablesen k nnen, entweder die abstrakte Form nur ein modisches Kleid des expressionistischen<br />
Inhalts ist, oder die von den Expressionisten bernommenen Ausdruckswerte sich bei j ngeren<br />
K nstlern noch in der Reinigung befinden und im Laufe der Entwicklung abgestoßen werden.<br />
Es scheint sich uns nicht so darzustellen, daß der Expressionismus die große revolution re<br />
Kunstform ist, aus der die anderen Formen sich ableiten (wie es zeitlich den Anschein hat), also z. B.<br />
der Kubismus und der Konstruktivismus. Vielmehr entwickeln sich von C zanne ab die beiden [Seite<br />
16:] großen Antipoden. W hrend aber in der weiteren Entwicklung das Crescendo sich nach der Seite<br />
der abstrakten Kunstform hin abzeichnet, wird die Linie beim Expressionismus nner und splittert sich<br />
schließlich auf in das bunte Bild der gegenst ndlichen Malerei von heute.<br />
Der Expressionismus ist nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr in seiner urspr nglichen Form. Eine<br />
Epoche liegt hinter uns. Sie stellt sich heute als etwas Abgeschlossenes dar, und wir rfen ohne Arroganz<br />
dar ber sprechen, warum dieser Kunstform eine verh ltnism ßig kurze Lebensdauer geg nnt war.<br />
Mit Leidenschaft und Schwung nahm der Expressionismus um die Jahrhunderwende seinen Start.<br />
Kraftvolle Pers nlichkeiten bildeten die "Br cke". Das Dynamisch-Expressive, das Pathetische liegt dem<br />
Deutschen, und es stand ein Affekt hinter dieser Bewegung, die revolution ren Charakter trug. Das war<br />
das gesunde und kraftvolle, und es sind Werke entstanden, die diese Unmittelbarkeit ausstrahlen. Aber<br />
es ist still um den Expressionimus geworden. Einige wenige sind zwar noch am Werk, aber auch sie<br />
f hlen wohl, daß die Zeit dar ber gegangen ist. Neue Ver nder finden sich nicht mehr. Das geistige<br />
Substrat entspricht nicht mehr der Ausdrucksform, das Affektive droht zu erstarren in einer manirierten<br />
Haltung, weil die Gef hlsmomente sich ersch pften. So wie jede Leidenschaft einmal abklingt und jeder<br />
Affekt sich beruhigt, so wurden dem Expressionismus die Kr fte allm hlich entzogen, die f r ihn<br />
einmal den Humus bedeuteten.<br />
Dieser Satz bestimmt keine Rangordnung der Werte, sondern ist eine Erkenntnis, zudem psychologisch<br />
gesehen. Beide Formen, der Expressionismus wie die abstrakte Malerei, haben hinter sich ihre<br />
Idee: Der Expressionismus als revolution re Haltung, soziologisch als Reaktion gegen den Materialismus<br />
der Zeit, psychologisch als affektive Ausdrucksform mit bewußter Betonung des Subjektiven, wobei<br />
disharmonische Elemente zum Wesen geh ren. Die abstrakte Malerei als konstruktive Tat, sich einbeziehend<br />
in das moderne Zeitalter mit der geistigen Auseinandersetzung und dadurch Ueberwindung des<br />
Materialismus. Sie hat nichts Revolution res, nichts K mpferisches, stellt sich positiv zu unserer Zeit,<br />
aus der sie ihre Kr fte bezieht und schafft in Ordnung und Zucht Urformen von neuem Klang und eigener<br />
Harmonie.<br />
Diese Gegen berstellung zeigt aber auch Gesetzliches: Es ist der ewige Kampf zwischen Romantik<br />
und Klassik als polare Gegens tze, aber ein notwendiges Ringen. Tritt auch immer einer der beiden<br />
Pole st rker in Erscheinung, so lebt der andere doch weiter und bricht eines Tages wieder durch. Wenn<br />
man sich zum Beispiel fragt, wie pl tzlich die byzantinische Kunst, die sp ter den Expressionismus so<br />
1 Domnick kannte - wie sich hier zeigt - zumindest den Begriff der "abstrakten Expressionisten". Ob er<br />
diesem Wort auch Bilder zuordnen konnte, geht aus seinem Text nicht hervor. Es zeigt sich aber klar,<br />
daß er sich davon abgrenzen wollte.