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Textdokumentation 223<br />
f hrung an, als auf die Aufdeckung von Beziehungen und Parallelen. Es handelt sich ja bei diesen<br />
Fragen auch nur um erste tastende Versuche.<br />
Das ange ndigte Experiment (Sander), das in hnlicher Weise auch von Max Dessoir durchgef<br />
hrt wurde, befaßt sich mit der Reaktion des Beschauers auf bildliche Darstellungen, wobei nstlerische<br />
Faktoren gar nicht ber hrt werden. Hierbei ergibt sich, daß bei ungen ender Exposition einer<br />
bildlichen Darstellung (durch Dunkelheit, kurze Zeitdauer etc.) im Beschauer, solange er noch keine<br />
bestimmten Formen und Bildinhalte erkennt, Spannungen affektiver Art ausgel st werden, die ihn (als<br />
Subjekt) mit dem dargestellten Objekt in [Seite 129:] eine innige Verbindung versetzen, somit eine<br />
Einheit von Subjekt und Objekt erreicht wird - die sog. "Vorgestalt", die vom Beschauer durch eigene<br />
Arbeit ausgebaut und erg nzt zu werden strebt. Wir erinnern uns dabei an das in der Einf hrung zitierte<br />
"Vorerlebnis", das "Vorwissen" im Sinne N. Hartmanns, d. h. einer Erkenntnis a priori im Sinne einer<br />
Antizipation, das weder Wissen noch Nichtwissen ist, sondern zwischen beiden in der Mitte schwebt. So<br />
ist auch das Erlebnis der "Vorgestalt" nicht ein Nicht-Erkennen, auch nicht ein Erkennen, sondern ein<br />
Zwischending, ein - psychologisch ausgedr ckt - tastendes Ahnen. Dieses Erlebnis schließt ein, wie<br />
Hartmann vom "Vorwissen" ausf hrt, "eine prinzipiell unendliche Reihe m glicher F lle (hier der tats<br />
chlichen Bildform), von denen jeweils nur ein begrenzter Teil erkannt sein kann". Es stimmt mit N.<br />
Hartmanns Definition des "Vorwissens" berein, die besagt, "daß apriorische Einsichten berhaupt<br />
inhaltlich schlechterdings nicht isolierbar sind ... daß sie, wo und wie immer sie auftreten, allemal schon<br />
in einen Beziehungskomplex eingeordnet sind, der unabh ngig von den Grenzen des jeweilig Erkannten<br />
besteht und tats chlich weit ber sie hinausreicht". 2 Diese Verbindung zwischen Subjekt und Objekt in<br />
der Vorgestalt wird im Experiment um so schw cher und verliert um so mehr an Spannung, je deutlicher<br />
das Bildobjekt dargestellt wird, um bei lligem Erfassen des Bildes zu verschwinden in dem erreichten<br />
Besitz des Objekts, der "Endgestalt", von der das Subjekt jetzt wieder Abstand gewinnt.<br />
Diese Deutung ist kein Hineingeheimnissen von Erlebnismomenten aus irgendwelchen tendenzi<br />
sen Gr nden. Einen hnlichen Vorgang beobachtet man z. B. bei der Angst. Auch diese tritt in ihrer<br />
elementaren Form nur bei der Bedrohung durch ein Unbekanntes auf (sei es tats chlich oder nur in<br />
unserer Vorstellung), das, weil nicht greifbar, die tiefst erregende Spannung auf dem Affektgebiet erzeugt<br />
- im Gegensatz zur Furcht, die zwar erheblich sein kann, das Gef rchtete aber immer als greifbares<br />
Objekt erkennt, daher nie elementar ist wie die Angst. Diese wird um so geringer, je bekannter das<br />
Gef rchtete (Person oder Erlebnis) wird. Auch hier nimmt die affektive Spannung mit der Deutlichkeit<br />
des Erkennens ab. Aehnliches gilt f r viele psychologische Ph nomene, die mit einer Spannung verkn<br />
ft sind, wie z. B. Liebe, Sehnsucht, Ehrfurcht.<br />
Aus diesem psychologischen Experiment, das weite Erkenntnisse ber das Problem Ich und Welt<br />
und dar ber hinaus zur Hirn- und Psychopathologie er ffnet (Conrad), ließen sich auch Parallelen ziehen<br />
zu dem nstlerischen Sch pfertum generell, zu dem Entwicklungsprozeß von dem ersten<br />
unbewußten Gestaltungskeim bis zur en ltigen Formulierung. Vor allem aber ber hren diese Gesichtspunkte<br />
die hier er rterte Kunstform: die abstrakte Malerei.<br />
Die bei der Erlebnisform der Vorgestalt auftretenden Urformen, amorphen Gebilde, sind ja gerade<br />
die Formsprache der abstrakten Malerei. Die Vorgestalt, die dem schaffenden K nstler vorschwebt,<br />
wird hier unmittelbar in den Schaffensprozeß einbezogen. Die Spannungserlebnisse, die den K nstler<br />
[Seite 130:] zur Produktion treiben und w hrend der Produktion in Atem halten, erfahren nicht durch<br />
weiteren formalen Bildausbau eine Verflachung, sondern werden bereits im initialen Stadium der Vorgestalt<br />
fixiert und somit direkt dem Beschauer bertragen. Bevor dem K nstler selbst die Vorgestalt<br />
bewußte Gestalt wird, schreibt er sie nieder. Beim gegenst ndlichen Bild ist die Materialisierung weiter<br />
vorgetrieben, der Endgestalt umsomehr gen hert, je naturalistischer das Bild wird. Die blutvolle initiale<br />
sch pferische Konzeption, der Zeugungsakt, bleibt so im abstrakten Werk direkt noch enthalten, ohne<br />
2 Domnick zitiert hier ohne weitere Angabe Hartmann 1949, 448.