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Body and Soul in Ancient Philosophy

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Günther Patzig<br />

men, so wäre es, bei gleichen Materialien, ke<strong>in</strong>e Axt mehr, sondern nur<br />

noch e<strong>in</strong>e ,sogenannte Axt‘. (II 1, 412b12 ff.)<br />

Entsprechend bei Körperteilen:<br />

Wäre das Auge e<strong>in</strong> Lebewesen, dann wäre Sehfähigkeit se<strong>in</strong>e Seele; denn<br />

durch Sehfähigkeit wird e<strong>in</strong> Auge def<strong>in</strong>iert. Der Augenkörper ist Material<br />

für das Sehen und die Sehfähigkeit, und wenn diese verloren ist, ist das<br />

Auge ke<strong>in</strong> Auge mehr, außer dem Namen nach, wie die Augen von<br />

Statuen oder auf Gemälden. [Hätte es zu Aristoteles’ Zeiten schon Glasaugen<br />

gegeben, so würde er hier sicher auch von e<strong>in</strong>em Glasauge sprechen].<br />

Was für den Körperteil gilt, gilt aber auch für den ganzen Organismus:<br />

So wie die Sehfähigkeit auf das Auge, so ist Wahrnehmungsfähigkeit<br />

allgeme<strong>in</strong> auf den ganzen Körper bezogen. (II 1, 412b18 ff.)<br />

Daraus folgt, dass ebenso wenig e<strong>in</strong> Körper ohne se<strong>in</strong>e Form, se<strong>in</strong>e<br />

Seele, d.h. se<strong>in</strong>e Funktionsfähigkeit, e<strong>in</strong> Organismus se<strong>in</strong> kann, wie das<br />

Auge Auge bleibt, wenn es erbl<strong>in</strong>det. Es folgt aber ebenso, dass für<br />

Aristoteles die Seele, <strong>in</strong>sofern sie doch die Form e<strong>in</strong>es organischen<br />

Körpers ist, nicht von ihm getrennt gedacht werden kann, so wenig<br />

man real die Form e<strong>in</strong>er Glasvase von dem Glas trennen kann, <strong>in</strong> dem<br />

sie realisiert ist.<br />

Es dürfte deutlich se<strong>in</strong>, dass Aristoteles hier e<strong>in</strong>e Auffassung entwickelt,<br />

die den gegenwärtigen, <strong>in</strong>sbesondere den funktionalistischen<br />

Theorien im Rahmen e<strong>in</strong>er psychophysischen Identitätsauffassung <strong>in</strong><br />

den Hauptpunkten nahekommt. Dies Bild wird nun freilich dadurch<br />

gestört, dass Aristoteles im berühmten – und leider sehr dunklen –<br />

fünften Kapitel des dritten Buches der Schrift De anima noch e<strong>in</strong>e<br />

weitere Hypothese entwickelt, nach der jedenfalls e<strong>in</strong>e Seelenfunktion,<br />

die wir nur bei Menschen f<strong>in</strong>den, nämlich das rationale Denken, von<br />

jeder materiellen Basis unabhängig se<strong>in</strong> könnte. Diese Seelenfunktion<br />

oder dieser Seelenteil, wie Aristoteles gelegentlich auch sagt, heißt bei<br />

ihm ,nous‘, was wir mit ,Geist‘ oder ,Vernunft‘ zu übersetzen pflegen;<br />

und alle<strong>in</strong> er kann den Tod des Individuums überdauern. Freilich fasst<br />

Aristoteles diesen Seelenteil als e<strong>in</strong> über<strong>in</strong>dividuelles Pr<strong>in</strong>zip auf. Das hat<br />

der christlichen Interpretation des Aristoteles im Mittelalter große<br />

Schwierigkeiten gemacht, weil sich daraus die Unsterblichkeit der Seele<br />

im christlichen S<strong>in</strong>ne nicht ableiten ließ.<br />

Gestützt auf diese Lehrme<strong>in</strong>ung des Aristoteles, rücken nun manche<br />

Ausleger Aristoteles wieder an den platonischen Dualismus heran: Das,<br />

was wir vor allem als mentales – im Gegensatz zum physischen –<br />

Phänomen ansehen, nämlich das Bewusstse<strong>in</strong> und <strong>in</strong>sbesondere das<br />

Selbstbewusstse<strong>in</strong> des Menschen, setzte Aristoteles mit dem nous gleich,

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