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Body and Soul in Ancient Philosophy

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Ursula Wolf<br />

s<strong>in</strong>nlichen Antriebe an die Vorschriften der Vernunft anzupassen. Dabei<br />

erlangen sie nach und nach e<strong>in</strong>e Vorstellung von den guten Zielen. Wo<br />

diese auf der Ebene der Me<strong>in</strong>ung vorh<strong>and</strong>en, im Charakter aber noch<br />

nicht ganz verfestigt ist, kann es <strong>in</strong> manchen Situationen zu akratischem<br />

oder enkratischem H<strong>and</strong>eln kommen. Als Bestätigung für diese Interpretation<br />

könnte man Aristoteles’ Aussage ansehen, dass e<strong>in</strong> Zusammenwachsen<br />

von Me<strong>in</strong>ungen und wirklichem Verstehen nötig ist, das<br />

Zeit braucht (1147a22), ebenso den H<strong>in</strong>weis, die akrasia sei <strong>and</strong>ers als<br />

die Unmäßigkeit ke<strong>in</strong>e chronische Krankheit, sondern e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>termittierende<br />

(1150b34). Anführen könnte man auch die Zuordnung von<br />

akrasia und Jugend <strong>in</strong> der Rhetorik (1389a3 ff.). Der enkratÞs wäre dann <strong>in</strong><br />

dieser Entwicklung e<strong>in</strong> Stück weiter fortgeschritten, aber noch nicht auf<br />

der Stufe des Mäßigen angekommen.<br />

(ii) Natürliche Verschiedenheit vom Durchschnitt. Gegen die eben geschilderte<br />

Auffassung spricht, dass Aristoteles akrasia und enkrateia offenbar<br />

für eigene Charakterdispositionen hält (1151b23 ff.). 7 Der enkratÞs<br />

und der akratÞs unterscheiden sich se<strong>in</strong>er Ansicht nach <strong>in</strong> ihren natürlichen<br />

Anlagen oder <strong>in</strong> ihren Gewohnheiten von der Mehrzahl der<br />

Menschen. Der enkratÞs könne mehr, der akratÞs weniger bei etwas<br />

bleiben als der Durchschnitt (1152a25 ff.). Wo es sich um e<strong>in</strong> Ergebnis<br />

von Gewöhnung h<strong>and</strong>le, könne man das ändern, nicht oder weniger bei<br />

Naturanlagen. Aristoteles sche<strong>in</strong>t also auf der Ebene der Charakterhaltungen<br />

doch anzunehmen, dass wir es hier im Pr<strong>in</strong>zip mit e<strong>in</strong>em<br />

Übergangsstadium zu tun haben. Andererseits nimmt er aber offenbar<br />

auch an – und EN Buch VII h<strong>and</strong>elt ja von Sonderphänomenen wie<br />

Perversionen u. ä. -, dass es Menschen gibt, deren natürliche Anlagen<br />

nicht zur Entwicklung der ethischen aretÞ ausreichen. 8<br />

Allerd<strong>in</strong>gs fragt man sich, ob die Postulation dieses Naturphänomens<br />

plausibel ist. Würde nicht jem<strong>and</strong>, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten H<strong>in</strong>sicht<br />

dauerhaft beherrscht, die entsprechende Begierde nach und nach ver-<br />

7 Das betont Gould 1994, 176. Man könnte allerd<strong>in</strong>gs fragen, ob hier vielleicht<br />

nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> Systemzwang zugrundeliegt, dem zufolge für Aristoteles alles,<br />

was jem<strong>and</strong> anstrebt, als Aktualisierung e<strong>in</strong>er Charaktereigenschaft verst<strong>and</strong>en<br />

werden muss. Broadie vermutet e<strong>in</strong>en solchen Zwang für das Dreierschema,<br />

das Aristoteles <strong>in</strong> EN VII 11 mit der enkrateia <strong>in</strong> der Mitte konstruiert (307,<br />

Anm. 3). Ähnliches könnte für das Dreierschema mit der karteria als Mitte <strong>in</strong> der<br />

EE (1221a9) gelten.<br />

8 Den Bezug auf die Normalität betont Reilly 1976, 154.

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