Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Zur Wahrnehmung und Bewältigung städtischer Wasserkrisen im späten 19. Jh.<br />
Kadaver so manchem um die Hygiene besorgten Einwohner Sorgenfalten auf die<br />
Stirn trieb. 21 Schließlich wäre das Vorhandensein von Elendsunterkünften und<br />
damit das Ausmaß an Bereitschaft in Rechnung zu stellen, mit der Akteure der<br />
„socialen Frage“ begegnen wollten.<br />
An – qualitativ unterschiedlichen und mitunter unterschiedlich motivierten –<br />
Deutungsangeboten, sich mit dem Phänomen Stadt auseinanderzusetzen, mangelte<br />
es nicht. Gerne zitiert werden die berühmt-berüchtigten Positionen des Pfarrers<br />
Johann Peter Süßmilch oder des Arztes Christoph Hufeland, die – unabhängig<br />
voneinander – meinten feststellen zu können, dass der Aufenthalt in einer Stadt<br />
der zuverlässigste und schnellste Weg sei, sich ins Grab zu bringen. 22 Um einen<br />
stärker auf Abhilfe bedachten Ansatz bemühten sich Edwin Chadwick und dessen<br />
Anhänger in England. Besondere und grenzüberschreitende Resonanz erfuhr der<br />
unter der Federführung Chadwicks 1842 veröffentlichte „Report on the Sanitary<br />
Condition of the Labouring Population of Great Britain“. Danach sollten die kläglichen<br />
Lebensumstände weiter Bevölkerungsteile verbessert und eben diese Bevölkerungsgruppen<br />
in die bürgerliche Gesellschaft integriert werden. Eine in die gleiche<br />
Richtung zielende Handlungsaufforderung artikulierte drei Jahre später auch<br />
Friedrich Engels in seiner Abhandlung „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“.<br />
Dasselbe verlangte 1848 der Arzt und Politiker Rudolf Virchow mit Blick<br />
auf deutsche Verhältnisse, wobei sein Plädoyer für eine dem Präventiv- und Interventionsgedanken<br />
verpflichtete Medizin bzw. Wissenschaft auf dessen Eindrücken<br />
von den erbärmlichen Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten fußte. 23 Konkreter<br />
anmutende Anweisungen, nach welchen Kriterien die Wasserversorgung einer<br />
Stadt neu auszurichten sei, ließen sich schließlich der „Boden-“ bzw. Miasmentheorie<br />
Max von Pettenkofers und den Veröffentlichungen des „Deutschen Vereins<br />
für öffentliche Gesundheitspflege“ entnehmen.<br />
Die Aneignung der beiden zuletzt genannten Positionen beflügelte zum einen<br />
das offenkundige Unvermögen vorhandener städtebaulicher Methoden, die mit<br />
den oben genannten Veränderungsprozessen einhergehenden Phänomene einzuhegen.<br />
Zum anderen gelang es den Kontagionisten nicht, den Übertragsweg der<br />
Cholera zweifelsfrei festzustellen und die Ausbreitung dieser Krankheit zu stoppen.<br />
Demgegenüber waren die von Pettenkofer und Mitgliedern des „Deutschen<br />
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ aufgestellten Forderungen, der Boden<br />
zu Füßen der Stadtbewohner solle sauber und trocken gehalten, die Bevölkerung<br />
mit sauberem Wasser versorgt werden, um dem Einzelnen ein höheres Maß an<br />
21 Evans: Tod, S. 156-158, 172-174, 177.<br />
22 Bleker, J.: Die Stadt <strong>als</strong> Krankheitsfaktor. Eine Analyse ärztlicher Auffassungen im 19. Jahrhundert, in: Medizinhistorisches<br />
Journal, 1983, S. 118-136.<br />
23 Virchow, R.: Mittheilungen über die in Oberschlesien herrschende Typhusepidemie (1848), in: Derselbe:<br />
Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medizin und der Seuchenlehre, 2 Bde.,<br />
Berlin 1879, Bd. 1, S. 214-334; Virchow, R.: Die Epidemien von 1848 (Gelesen in der Jahressitzung der<br />
Gesellschaft für wissenschaftliche Medicin am 27. November 1848), in: Derselbe: Abhandlungen, Bd. 1,<br />
S. 117-121.<br />
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