Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Martin Knoll<br />
terminologischen Wandel des Landschaftsbegriffs und den jeweils vorherrschenden<br />
Konzeptionen der Kategorie Raum von geografischer Seite betont. 51 Mittlerweile<br />
hat der ‚spatial turn‘ auch die geschichtswissenschaftliche Szene mit Macht<br />
erfasst, und dies mit der positiven Nebenwirkung, dass die Diskussion der historischen<br />
Entwicklung von Raumkonzeption und Raumwahrnehmung auch für die<br />
o. g. Kulturgeschichte der <strong>Natur</strong>wahrnehmung ihre Krumen abwirft. 52 Resümiert<br />
man die hier nur angerissenen Diskussionen, zeichnen sich zwei theoretischmethodische<br />
Bruchlinien ab, erstens: Konstruktivismus vs. Realismus in der<br />
Wahrnehmung und Beschreibung, zweitens: ikonologische bzw. diskursanalytische<br />
vs. materialistische Ansätze, z. B. in der Kunstgeschichte und der Kartografiegeschichte.<br />
Wenn in diesem Beitrag davon ausgegangen wird, dass es sich bei historischtopografischer<br />
Literatur der Frühen Neuzeit um eine aussagekräftige Quellengattung<br />
im Dienste einer <strong>als</strong> Wahrnehmungsgeschichte verstandenen Umweltgeschichte<br />
handelt, so sei abschließend daran erinnert, dass gerade eine solche<br />
Wahrnehmungsgeschichte besonders von der Offenheit der umwelthistorischen<br />
„Gretchenfrage“ der Grenzziehung zwischen <strong>Natur</strong> und Kultur bzw. Gesellschaft<br />
betroffen ist. Die Extrempositionen des <strong>Natur</strong>alismus (Gesellschaft <strong>als</strong> Teil der<br />
<strong>Natur</strong>, Kultur <strong>als</strong> Ausdruck eines Kulturinstinkts oder <strong>als</strong> Anpassung an Umweltbedingungen)<br />
und Konstruktivismus (<strong>Natur</strong> <strong>als</strong> ‚Kopfgeburt‘ bzw. <strong>als</strong> soziale Konstruktion)<br />
53 haben bekanntermaßen Versuche zur Überwindung eben dieser<br />
Dichotomie angeregt. Interaktionsorientierte Modelle wie das Wiener Modell des<br />
sozial-ökologischen Zusammenhangs versuchen den Dualismus aufzulösen. Verkürzt<br />
sieht dieses Modell den Menschen und sog. biophysische Strukturen der<br />
Gesellschaft (Gebäude, Nutztiere etc.) gleichermaßen einer naturalen wie einer<br />
kulturellen Sphäre interaktiv verbunden. In der direkten oder indirekten Auseinandersetzung<br />
seiner Sinne mit <strong>Natur</strong> macht der Mensch Erfahrungen; diese werden<br />
unter dem Einfluss kultureller Regeln in Repräsentationen transformiert. Solche<br />
Repräsentationen tragen wiederum dazu bei, Programme für die Arbeit des Menschen<br />
mit der <strong>Natur</strong> zu entwerfen. 54 Nun attestiert der Philosoph Theodore<br />
Schatzki diesem und ähnlichen Versuchen ein Scheitern an der Überwindung des<br />
Dualismus genau deswegen, weil sie letztendlich doch alle auf der Grundannahme<br />
51 Cosgrove, D.: Landscape and Landschaft, in: Bulletin of the German Historical Institute Washington,<br />
2004, H. 35, S. 57–71.<br />
52 Die Angebote der jüngeren Raumsoziologie werden u. a. in den Untersuchungen der Frühneuzeithistoriker<br />
Axel Gotthard und Achim Landwehr reflektiert. Vgl. Gotthard, A.: In der Ferne. Die Wahrnehmung<br />
des Raums in der Vormoderne, Frankfurt a. M. 2007, S. 68–71; Landwehr: Erschaffung, S. 34–39.<br />
Gotthards Studie ist dabei von mehr, Landwehrs Beitrag von keinerlei Berührungsängsten zum <strong>Natur</strong>alen<br />
geprägt. Vgl. Gotthard: Ferne, S. 61, 111; Landwehr: Erschaffung, S. 119.<br />
53 Vgl. Schatzki, T. R.: <strong>Natur</strong>e and technology in history, in: History and Theory - Theme Issue, Jg. 42,<br />
2003, S. 82–93, hier: S. 86; Sieferle, R. P.: Einleitung. <strong>Natur</strong>erfahrung und <strong>Natur</strong>konstruktion, in: Breuninger<br />
/ Sieferle: <strong>Natur</strong>-Bilder, S. 9–18, hier: S. 11–15.<br />
54 Hier zusammengefasst nach Knoll / Winiwarter: Umweltgeschichte, S. 127–130.