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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Natürliche Erfahrungsgrenzen<br />

Die beeindruckendste <strong>Grenzerfahrung</strong>, die Denham in seinem Bericht beschreibt,<br />

ergibt sich konsequenterweise daraus, dass die lebensfeindliche <strong>Natur</strong> mit<br />

der individuellen Sensibilität des Reisenden zusammentrifft. Er berichtet, wie sich<br />

die Karawane auf ihrem Weg durch die Wüste immer wieder an den verbleichenden<br />

sterblichen Überresten unzähliger verdursteter Sklaven vorbeibewegt:<br />

„During the last two days, we had passed on an average from sixty to eighty or ninety skeletons<br />

each day; but the numbers that lay about the wells at El-Hammar were countless: those of two<br />

women, whose perfect and regular teeth bespoke them young, were particularly shocking; their arms<br />

still remained clasped round each other as they had expired; although the flesh had long since perished<br />

by being exposed to the burning rays of the sun, and the blackened bones only left: the nails of<br />

the fingers, and some of the sinews of the hand, <strong>als</strong>o remained; and part of the tongue of one of them<br />

still appeared through the teeth. We had now passed six days of desert without the slightest appearance<br />

of vegetation, and a little branch of the souak was brought me here as a comfort and curiosity.<br />

On the following day we had alternately plains of sand and loose gravel, and had a distant view of<br />

some hills to the west. While I was dozing on my horse about noon, overcome by the heat of the<br />

sun, which at that time of the day always shone with great power, I was suddenly awakened by a<br />

crashing under his feet, which startled me excessively. I found that my steed had, without any sensation<br />

of shame or alarm, stepped upon the perfect skeleton of two human beings, cracking their brittle<br />

bones under his feet, and, by one trip of his foot, separating a skull from the trunk, which rolled<br />

on like a ball before him[.] This event gave me a sensation which it took some time to remove. My<br />

horse was for many days not looked upon with the same regard as formerly.“ 63<br />

Gerade die exakte Untersuchung der Skelette mit ihren vertrockneten Geweberesten<br />

lässt die in der Wüste und in Denhams Reitpferd verkörperte <strong>Natur</strong> besonders<br />

brutal und gefühllos erscheinen. Andererseits bietet sie auch die einzige Erleichterung<br />

in dieser emotionalen Grenzsituation: Der kleine Zweig, der Denham<br />

von seinen Begleitern <strong>als</strong> Zeugnis der lokalen Vegetation gereicht wird, verschafft<br />

ihm nicht nur ein wissenschaftlich ‚kurioses‘ Sammelobjekt, sondern auch emotionale<br />

Erleichterung. Dieser kurze Einschub ermöglicht Denham das Weiterreisen.<br />

Er überwindet dank solch kleiner Hilfen physisch die ‚Grenzen‘ der Wüste. Zudem<br />

gelingt ihm so eine sprachliche Verarbeitung dieser emotionalen <strong>Grenzerfahrung</strong>.<br />

Auch dem Leser wird schließlich mit solch kleinen Hilfen das Weiterlesen ermöglicht;<br />

man kann die Grenze des Abscheus trotz der kaum erfassbaren Schrecken so<br />

lesend überschreiten.<br />

Die tödlichen Gefahren der Wüstendurchquerung ordnet Denham zusammenfassend<br />

in eher literarisch-ästhetische Kategorien ein. Fast schon pathetisch muten<br />

seine letzten Bemerkungen zur Beschreibung der Wirkung der Wüste auf die<br />

Wahrnehmung eines europäischen Reisenden an:<br />

„The few fertile spots of scanty verdure, called ‘oases,’ which now and then refresh the languid<br />

senses of the weary traveller, and which are desolate, beyond the wildest wastes of European land,<br />

63 Ebd., S. 12 f..<br />

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