Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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Marcus Stippak<br />
ter Bedeutung“ Rechnung tragen. Es herrschte die Ansicht vor, man habe es mit<br />
exakten Analysen zu tun, deren Methoden und Aussagen über jede Kritik erhaben<br />
seien. Die Befürworter einer zentralen Wasserleitung redeten folglich einem Sachzwang<br />
das Wort. Hinzu gesellte sich die Auffassung, eine „gute“, d. h. verantwortungsbewusste<br />
Stadtverwaltung könne sich diesem Sachzwang unmöglich entziehen.<br />
Die staatliche Verwaltung jedenfalls verschloss sich dieser Argumentation<br />
nicht und war mit der gewünschten Abänderung des Auseinandersetzungsvertrages<br />
letztlich einverstanden.<br />
Derweil ergingen sich die Befürworter der zentralen Wasserleitung in zuversichtlichen<br />
Ankündigungen. Gut zwei Jahre bevor das Wasserwerk in Betrieb genommen<br />
wurde, frohlockte ein Beobachter, es werde der Stadt nie an Wasser<br />
mangeln. Und einige Wochen nach der Ende Mai 1876 erfolgten Inbetriebnahme<br />
versicherte der „Anhaltische Staatsanzeiger“ seinen Lesern, die neue Einrichtung<br />
biete nicht nur Komfort, sondern sei zudem „in gesundheitlicher Beziehung ein<br />
wahrer Segen zu nennen“. In diesen Worten kam die Auffassung zum Ausdruck,<br />
durch den zentralen Zugriff auf das Wasser und dessen Verteilung durch eine<br />
kompetente Institution dem unkontrollierten Treiben der <strong>Natur</strong> – Stichwort Cholera<br />
– endlich Einhalt gebieten zu können. Folglich erfuhr der interessierte Zeitungsleser,<br />
einzig „eine Wasserleitung (!) vermag unter allen Umständen reines<br />
klares Wasser zu liefern“.<br />
Nicht alle Dessauer stimmten in dieses Lied mit ein. Von ausgeprägtem Desinteresse<br />
und Ablehnung ist wiederholt die Rede. Erklären lässt sich diese Haltung<br />
zunächst mit dem Umstand, dass man in Dessau die Erfahrung einschneidenden<br />
Wassermangels nicht kannte. Auch der fortwährende Genuss von Brunnenwasser,<br />
der nicht umgehend zu Krankheit und Tod führte, nährte eine skeptische Position.<br />
Dementsprechend beäugten – wie in Darmstadt – Teile von Dessaus Bevölkerung<br />
die Qualität des Leitungswassers misstrauisch. Bestätigt fühlen durften sich die<br />
Zweifler schon recht bald: Bereits eineinhalb Monate nach der Inbetriebnahme des<br />
Wasserwerks verließ das Wasser die Leitung mitunter in getrübtem Zustand. Fünf<br />
Monate später war an die Stelle der vorübergehenden eine „anhaltende Trübung“<br />
des Leitungswassers getreten. Braun-, gelb- und ockerfarben, schlecht riechend<br />
und schlammhaltig gelangte das Wasser oft in die angeschlossenen Haushalte.<br />
Derselbe Experte, der gut drei Jahre zuvor die Qualität des hiesigen Brunnenwassers<br />
abschätzig und die des künftigen Leitungswassers positiv bewertet hatte,<br />
musste den „Leitungswasser-Leid-Tragenden“ nun erklären, das Leitungswasser<br />
werde zwar den Kriterien der Wiener Wasserversorgungskommission gerecht,<br />
eigne sich aber dennoch weder <strong>als</strong> Trink- noch <strong>als</strong> Brauchwasser. Ein weiteres<br />
Eingeständnis kam hinzu: Man hatte im Zuge der Vorarbeiten die Größe des begutachteten<br />
Dargebots überschätzt und die Möglichkeit nicht erkannt, dasselbe<br />
könne mit anderen, eisenhaltigen Grundwasservorkommen in Verbindung stehen.<br />
Da man noch nicht über die technischen Möglichkeiten der Enteisenung verfügte,<br />
ließ die Stadt bis 1886 ein zweites Wasserwerk errichten. Doch auch dessen Leitungswasser<br />
war schon sehr bald dazu angetan, den Eindruck aufrechtzuerhalten,