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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Klaus Bergdolt<br />

die Miasmenbildung nicht noch durch Ausdünstungen von Schmutz und Unrat<br />

gefördert würde. 47<br />

Auf einem anderen Feld war man weitaus kritischer. Mediziner wie Ludovico<br />

Pasini und Andrea Gratiolo vermissten bei derselben Pest die in der Fachliteratur<br />

für den Fall von Seuchenausbrüchen beschriebenen astrologischen Dispositionen.<br />

48 Andererseits war bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts dem Dichter<br />

Giovanni Battista Susio sowie dem Philosophen Giovanni Pico della Mirandola<br />

aufgefallen, dass bei „typischen“ Konstellationen die zu erwartende (nach<br />

galenischer Auffassung geradezu zwangsläufige) Seuche häufig ausgeblieben war. 49<br />

Der Glaube an die Sterne war, ungeachtet einer astrologiekritischen Bulle Sixtus V.<br />

und des Verbots durch das Konzil von Trient, nicht nur unter Ärzten, sondern<br />

auch unter Klerikern weit verbreitet. Seit dem 13. Jahrhundert wurden europäischen<br />

Medizinstudenten deshalb neben astronomischen auch astrologische Kenntnisse<br />

vermittelt. Vor allem die von Pietro d’Abano begründete Paduaner Schule<br />

ragte hier heraus. 50 Ursachen und Prognosen von Epidemien wurden so nicht zuletzt<br />

nach dem Sternbild beurteilt. Auffällige astrologische Konstellationen galten<br />

freilich <strong>als</strong> signa von Tendenzen oder Gefahren, nicht <strong>als</strong> causae künftiger Ereignisse<br />

(astra inclinant, non necessitant). Man hatte somit die Möglichkeit, im Interesse der<br />

Kranken oder der Kommune Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 51 Es schien einleuchtend,<br />

dass Gott selbst, wie es der Lucca-Codex der Hildegard von Bingen<br />

(12. Jh.) 52 veranschaulichte, das Firmament in den Händen hielt und der Menschheit<br />

durch astrologische Zeichen Warnungen zukommen ließ. Auch das berühmte,<br />

Dürer zugeschriebene Syphilis-Blatt des Nürnberger Stadtarztes Theodoricus<br />

Ulsenius (1460-1508) von 1496 zeigt den engen, für die zeitgenössischen Ärzte<br />

selbstverständlichen Bezug von Seuchenentstehung und astrologischer Konstellation.<br />

53<br />

Mancher Arzt und mancher Laie mag die Kontagiosität der Pest, d. h. die Rolle<br />

von Korpuskeln geahnt haben, die vom infizierten Nager oder Menschen auf andere<br />

übergingen – die Lehrmeinung sagte nun einmal das Gegenteil. Einer der<br />

fat<strong>als</strong>ten und folgenschwersten ärztlichen Irrtümer war 1576 in Venedig zu verzeichnen.<br />

Die Gesundheitsbehörden der Stadt, welche sich der Gefahr durchaus<br />

bewusst waren und erste Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet hatten, beugten sich<br />

47 Zitelli / Palmer: Venezia, S. 26.<br />

48 Ebd., S. 24.<br />

49 Ebd..<br />

50 Vgl. Bergdolt, K.: Arzt, Krankheit und Therapie bei Petrarca. Die Kritik an Medizin und <strong>Natur</strong>wissenschaft<br />

im italienischen Frühhumanismus, Weinheim 1992, S. 18-20 und 29-32.<br />

51 Zur Astrologie in der Medizin vgl. Müller-Jahncke, W. D.: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis in<br />

der Heilkunde der frühen Neuzeit (=Sudhoffs Archiv Beiheft 25), Stuttgart 1985.<br />

52 Vgl. Kotzur, H. J. (Hg.): Hildegard von Bingen 1098-1179, Ausstellungskatalog, mit zahlreichen Bildbeispelen,<br />

Mainz 1998; vgl. auch Sudbrack, J.: Hildegard von Bingen. Schau der kosmischen Ganzheit, Würzburg<br />

1995.<br />

53 Vgl. die Abbildung bei Leven: Infektionskrankheiten, S. 57.

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