Natur als Grenzerfahrung - Oapen
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„O biegu rzek“: Zwischen Oder und Weichsel.<br />
der Industrie sicherstellen. Vor allem das Deutsche Reich war bestrebt, einen einheitlichen<br />
Oder-Weichselraum durch Flussregulierung zu erreichen. Ähnliches<br />
plante auch Österreich für sein Flussnetz, jedoch wurde die österreichische Wasserstraßenvorlage<br />
von 1901, die auf eine Anbindung an das ostmitteleuropäische<br />
Binnenwassernetz abzielte, nicht realisiert. Russland war an einem Flussausbau in<br />
Kongresspolen nicht interessiert, weil es eine Dominanz vor allem des Deutschen<br />
Reiches befürchtete. Die Erschließung der Weichsel hätte aber noch viel mehr<br />
bedeuten können: Sie hätte im 19. Jahrhundert die Voraussetzungen für die Entwicklung<br />
von Industrien schaffen können, die Industrialisierung Polens einzuleiten<br />
vermocht – sie konnte diese Rolle jedoch nur in ihrem Unterlaufsabschnitt, im<br />
dam<strong>als</strong> preußischen Gebiet, spielen, nicht aber in Kongresspolen, wo der Ausbau<br />
des Stromes von der russischen Regierung vernachlässigt wurde. Die politische<br />
Teilung Polens und die imperialen Rivalitäten zwischen Preußen, Österreich und<br />
Russland, später die auf rücksichtslose Ausbeutung angelegte NS-Besatzungspolitik<br />
haben eine effektive wasserwirtschaftliche Nutzung der Weichsel verhindert. Doch<br />
sprachen nicht nur die politische Lage, sondern auch naturräumliche Gegebenheiten<br />
dagegen. Wenig geeignet für die Schifffahrt war die Weichsel in Galizien, in<br />
Russisch-Polen in begrenztem Maß, am besten in Westpreußen. Dadurch ergab<br />
sich ein unterschiedlicher Grad der Flussnutzung für die Industrialisierung. Die<br />
Bedeutung des Oder-Weichsel-Raumes für die Nationsbildung in Ostmitteleuropa<br />
zeigt den für den Zeitraum von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts<br />
determinierten Blick auf Flüsse, d. h. auf natürliche Prozesse des „Fliessens“.<br />
Flussregulierung stand für die Reglementierung und Prognostizierbarkeit der<br />
Flussnatur. Gleichzeitig werden aber auch durch Prozesse wie Überschwemmungen,<br />
Versandungen etc. die Grenzen dieser Determiniertheit deutlich. Viele <strong>Natur</strong>prozesse<br />
– so auch im Beispiel der Flüsse Oder und Weichsel 53 – verlaufen eben<br />
nicht linear. 54 Dieser Zusammenhang besitzt auch heute noch Brisanz. So warnte<br />
der „World Wide Fund for <strong>Natur</strong>e“ 2000 vor dem Hintergrund der EU-<br />
Osterweiterung vor erneuten Flussbaumaßnahmen. Dabei treten nicht nur nation<strong>als</strong>taatliche<br />
Akteure wie die Bundesrepublik Deutschland und Polen, sondern<br />
auch die Europäische Union auf. Der Ausbau von Oder und Weichsel zielt auf die<br />
Schaffung eines großen europäischen Binnenschifffahrtsraumes in Ostmitteleuropa<br />
ab. Damit würde ein bereits im 19. Jahrhundert gehegter Traum realisiert werden.<br />
Doch ein systematischer Flussausbau impliziert – wie dam<strong>als</strong> – die Gefahr<br />
von Hochwasser. 55<br />
53 Hiermit ist der gesamte Flussraum Oder-Weichsel gemeint, d. h. Netze, Warthe, Neiße eingeschlossen.<br />
54 Vgl. Stolberg, E.-M.: Die Weichsel – „unbändiger“ <strong>Natur</strong>strom oder „zivilisierte“ Kulturstraße, in: Ost-<br />
West. Europäische Perspektiven, Heft 4, 2006, S. 303-305.<br />
55 http://www.presseportal.de/pm/6638/155796/wwf_world_wide_fund_for_nature, abgerufen am<br />
22.11.2008.<br />
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