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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Financial Revolution, Feuerversicherung, Umweltgeschichte<br />

Ansätze, die die staatlichen Eingriffe in die <strong>Natur</strong> seit der Frühen Neuzeit von<br />

der Wahrnehmungsseite her zu systematisieren versuchen, wie etwa die oft zitierte<br />

Studie von James Scott mit seinem Konzept der „state simplifications“ <strong>als</strong> den<br />

Perzeptionsrastern, die, angewendet in der Aktion des Staates, die <strong>Natur</strong> tiefgreifend<br />

umgestalten, von den agrarischen Flurveränderungen über die Normalbaum-<br />

Dressur der Forstwissenschaftler zu realisierten und misslungenen Staudamm- und<br />

Städtebauutopien, dringen eben meist sehr rasch auf die Gestaltungsmacht der<br />

Wahrnehmung, sie sehen latent die <strong>Natur</strong> wie eine aristotelische tabula rasa, die<br />

vom Menschen „beschrieben“ und so unterjocht wird. 59<br />

Nimmt man die Entstehung der Feuerversicherungen in den Blick, tritt nicht<br />

nur der quantifizierende Zugriff auf <strong>Natur</strong> hervor, sondern erst einmal ein Perzeptionswandel,<br />

der aus der alltäglichen Stadt- und Hausbrandgefahr, die seit dem<br />

Urbanisierungsbeginn im Hochmittelalter ein ständiger Begleiter der Menschen<br />

war, ein Risiko machte und singularisierte. 60 Am Anfang steht nicht gleich die<br />

mathematisierte Definition von Risiko <strong>als</strong> „dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit<br />

eines Schadenseintritts und der erwartbaren Schadenshöhe“, obgleich die dahinterstehende<br />

Sachüberlegung durchaus schon in der maritimen Transportversicherung<br />

Praxis war und so in die neuen institutionellen Muster übertragen wurde.<br />

Auch wenn das Feuer in anderen Diskursen auch Zivilisationssymbol par excellence<br />

war, 61 und auch wenn in der Praxis bei Stadtbränden immer auch nach Schuldigen<br />

gefahndet wurde und Brandstiftung durchaus häufig vorkam, so waren aus der<br />

makroskopischen Sicht der Kameralisten zerstörerische Brände primär <strong>Natur</strong>unglücke,<br />

was ja seinen richtigen Grund darin hatte, dass das unkontrollierbare Großfeuer<br />

nun einmal „<strong>Natur</strong>gewalt“ war. Die Institutionalisierung der Versicherungen<br />

und der sie begleitende Diskurs sind die Materialisation dieses Perzeptionswandels:<br />

Im 14. Jahrhundert hatten die italienischen Kaufleute vielleicht <strong>als</strong> Folge ihrer<br />

Schulung im neuen Aufschreibsystem der doppelten Buchführung nach einem<br />

Mechanismus gesucht, der die Soll- und Haben-Notierung der Waren- und Geldströme<br />

vor Unwägbarkeiten schützte und abfederte. 62 Dies leistete der Versicherungsvertrag,<br />

der auch bei Eintritt einer „höheren Gewalt“, eines „casus fortuitus“<br />

die Wertbalancen den Zahlen nach von der <strong>Natur</strong>gewalt unabhängig machte. Auf<br />

eine höhere institutionelle Ebene transformiert <strong>als</strong> es die Einzelversicherungsverträge<br />

leisten konnten, wurden nun Feuerversicherungen <strong>als</strong> Wertsicherungspuffer<br />

59 Scott, J. C.: Seeing Like a State. How Certain Schemes to Improve the Human Condition have failed, New<br />

Haven/London 1998; ähnlich auch der Ansatz von Blackbourn, D.: Die Eroberung der <strong>Natur</strong>. Eine<br />

Geschichte der deutschen Landschaft, München 2007.<br />

60 Allgemein im synthetisierenden Längsschnitt sehr anregend Bonß, W.: Vom Risiko, Hamburg 1995;<br />

dem entscheidenden Schritt von der maritimen zur Feuerversicherung wird nur relativ wenig Aufmerksamkeit<br />

gewidmet – freilich dem Forschungsstand entsprechend.<br />

61 Goudsblom, J.: Die Entdeckung des Feuers, Frankfurt a. M. 1995 hat dem folgend eine Welt-<br />

Feuergeschichte <strong>als</strong> Zivilisationsprozess-Geschichte geschrieben.<br />

62 Allgemein zur doppelten Buchführung Mills, G. T.: The European Origins of double-entry bookkeeping,<br />

in: Studia Historiae Oeconomicae, Jg. 20, 1993, S. 89-106.<br />

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