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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Seuchentheorie und Umwelt in der Frühen Neuzeit<br />

erwähnt. 27 Letztlich hatte die ärztliche Mahnung zum Ausgleich sogar eine moralische<br />

Komponente, weshalb Platon sie häufig <strong>als</strong> Bild benützte. 28<br />

In den Pesttraktaten, welche unmittelbar nach 1348, aber auch noch im<br />

16. und 17. Jahrhundert in größerer Zahl entstanden, 29 stand der humoralpathologische<br />

Gedanke des Ausgleichs erneut im Mittelpunkt. Er stellte ein relativ unkompliziertes,<br />

auch Laien verständliches Erklärungsmodell für die Seuche dar, das zudem<br />

dank der vielfachen Absegnung durch die Autoritäten geradezu unangreifbar<br />

schien. Gesund war, wessen Säftehaushalt ausgeglichen war. 30 Da ein Überschuss<br />

an Hitze und Feuchtigkeit – im Körper wie in der Umwelt – für Mensch und Tier<br />

Infektionsgefahr bedeutete, ließ man – so z. B. die Empfehlung des italienischen<br />

Arztes Giovanni Dondi (14. Jh.) – Infizierte wie Gefährdete zur Ader, um mit dem<br />

Blut jenen Körpersaft zu reduzieren, dem die Hippokratiker die Eigenschaften<br />

„heiß und feucht“ zugeordnet hatten. 31 Angesichts der Luftverdorbenheit erschien<br />

es auch logisch, die Luft, die man einatmete, mit Kräutern und Duftstoffen zu<br />

reinigen. Die berühmten Pestmasken der Ärzte enthielten in ihren langen „Nasen“<br />

Kräutermischungen! Dondi empfahl, sich zu Seuchenzeiten morgens durch wohlriechende<br />

Feuer, etwa von Oliven- oder Myrthenholz einzuräuchern. Sein Kollege<br />

Gentile da Foligno (ein Arzt aus Perugia, der später selbst der Pest erlag) schlug<br />

dies auch für alle Innenräume vor, damit die Ausdünstungen der Bewohner neutralisiert<br />

würden. Um den Einfluß der Miasmen einzudämmen, sollte man nach<br />

Dondi zudem die Fenster der Wohnhäuser verglasen lassen und nur bei Nordwind<br />

öffnen! 32 Auch Modergeruch und exotisch-süßliche Düfte, dazu Leichengestank,<br />

Schlachtereien und warme Bäder waren zu meiden, vor allem, wenn die Pest schon<br />

in einem benachbarten Ort wütete. Friedrich II. von Hohenstaufen hatte im<br />

13. Jahrhundert aus seuchenhygienischen Gründen Maßnahmen zum Schutz von<br />

Luft und Wasser erlassen. 33 In derselben Absicht ließ der Venezianer Alvise<br />

Cornaro im 16. Jahrhundert das Hinterland seiner Heimatstadt durch Kanäle entwässern.<br />

Ziel der von ihm initiierten und bezahlten Unternehmung war, „die Erde<br />

trocken und die Luft gesund“ zu machen. Ausgedehnte stehende Gewässer im<br />

Schwemmland am Rande der Lagune galten dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> hochgefährlich. 34 Abgese-<br />

27 Hierzu Bergdolt: Leib, hier S. 29-41, besonders S. 31-33.<br />

28 So etwa im Philebos und im Staat, vgl. Bergdolt: Leib, S. 49-56, hier S. 51.<br />

29 Vgl. Bergdolt: Tod, S. 27-29. Zu späteren Pesttraktaten vgl. Dijstelberge, P. / Noordegraaf, L.:<br />

Plague and Print in the Netherlands. A short-title Catalogue of Publications in the University Library of Amsterdam,<br />

Rotterdam 1997.<br />

30 Vgl. Bergdolt, K.: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, München 2006, S. 27.<br />

31 Bergdolt: Pest, S. 27.<br />

32 Vgl. Zitelli, A. / Palmer, R. J.: Le teorie mediche sulla peste e il contesto veneziano, in: Ausstellungskatalog:<br />

Venezia e la Peste 1348-1797, Venedig 1979, S. 21-28, hier S. 23.<br />

33 Vgl. Strothmann, J.: Der „Schwarze Tod“ – Politische Folgen und die „Krise“ des Spätmittelalters, in: Meier,<br />

M. (Hg.): Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas, Stuttgart 2005, S. 178-198, hier S. 180.<br />

34 Vgl. Bergdolt, K.: La vita sobria. Lebenskunst und Krankheitsprophylaxe im Venedig des 16. Jahrhunderts, in:<br />

Medizin, Geschichte, Gesellschaft, Jg. 11, 1992, S. 25-42, hier S. 28 f..<br />

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