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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Tiere sind keine Sachen<br />

ben Wergeldes im Falle der Belemung eines Tieres festgesetzt; <strong>als</strong> Beispiel ist das<br />

Ausstechen eines Auges genannt. 91<br />

Auch im frühmittelalterlichen Recht finden sind vergleichbare Regelungen zu<br />

Wergeldbruchteilen von Mensch und Tier. Nach der Lex Baiuvariorum ist für das<br />

Ausschlagen eines Auges eines Nutztieres ein Drittel des Wertes des Tieres zu<br />

bezahlen. 92 Ähnlich geregelt sind im langobardischen Recht die Folgen der Verletzung<br />

eines Freien, Halbfreien oder Unfreien, wobei der Wergeldbruchteil, der für<br />

die Verletzung eines Unfreien zu bezahlen war, ebenso wie bei der Verletzung<br />

eines Nutztieres, an den Herrn fiel. 93<br />

c) „Haftungsbefreiung“ bei Taten tobsüchtiger Menschen und tollwütiger Tiere<br />

Im langobardischen Edikt König Rothars (643) ist in den Kapiteln 323, 324 geregelt,<br />

dass eine Haftung der Familie ebenso wie diejenige des Tierhalters ausnahmsweise<br />

ausgeschlossen ist, wenn es sich bei dem Schadensverursacher um<br />

einen tobsüchtigen Menschen oder um ein tollwütiges Tier handelt. Beide Kapitel<br />

sind in Tatbestand, Rechtsfolge und Diktion identisch und müssen <strong>als</strong> Ausnahmen<br />

von der frühmittelalterlichen reinen Erfolgshaftung begriffen werden. 94 In Kapitel<br />

91 Sachsenspiegel Landrecht III 48 §§ 1, 2: Wer des anderen vie totet, daz man ezzen muz, dankes adir undankes,<br />

der muz ez gelden mit sime gesatzten wergelde. Belemet herz, her gilt ez mit deme halben teile unde ane buze, dar<br />

zu behelt iener sin vie, des ez er waz. Wer abir totet adir belemet ein vie in einem vuze willenz unde ane not, daz manz<br />

nicht ezzen muz, her sal ez gelden mit vullem wergelde unde mit buze. Belemet herz abir an eime ougen, her gilt ez<br />

mit dem halben teile. [Hervorhebung durch Verf.]. So auch noch Pölmann, Handbuch, III 7, 3. Selbst<br />

Pegius, Hunde-Recht, S. 32 f. verweist noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf Sachsenspiegelrecht<br />

und begründet insbesondere die Rechtmäßigkeit der Tötung eines Hundes in Notwehr damit, dass<br />

auch ein Mensch in Notwehr ungestraft getötet werden dürfe.<br />

92 Lex Baiuvariorum XIV 8: Si quis alicuius caballo aut bovi vel cuilibet de quadrupedi unum oculum excusserit,<br />

adpretiet illud pecus quid valet, et tertiam partem conponat.<br />

93 Edictus Rothari (zitiert wird nach Bluhme, F./Broetius, A. (Hrsg.), Leges Langobardorum, Monumenta<br />

Germaniae Historica, LL IV, Hannover 1868), cap. 48, 49: De oculo evulso. Si quis alii oculum excusserit,<br />

pro mortuum adpretietur, qualiter in angargathungi (id est: secundum qualitatem personae); et medietas praetii ipsius<br />

conponatur ad ipsum, qui oculum excusserit. De naso absciso. Si quis alii nasum absciderit, medietatem pretii ipsius<br />

conponat, ut supra. Edictus Rothari, cap. 81: De oculo evulso. Si quis haldium alienum aut servum ministerialem<br />

oculum excusserit, medietatem pretii ipsius quod adpretiatus fuerit, si eum occidisset, ei conponat. Edictus Rothari,<br />

cap. 105: De oculo evulso. Si quis servum alienum rusticanum oculum excusserit, medietatem praetii ipsius, quod<br />

adpraetiatus fuerit, si eum occidissit, dominum eius conponat. Zu ergänzen ist noch, dass an anderen Stellen im<br />

langobardischen Recht Menschen und Tiere sogar in einer Regelung erfasst und einheitlich behandelt<br />

werden (zu nennen ist beispielsweise Edictus Rothari, cap. 303).<br />

94 Edictus Rothari, cap. 323, 324: De homine rabioso. Si peccatis eminentibus homo rabiosus aut demoniacus<br />

factus fuerit, et damnum fecerit in hominem aut in peculium, non requiratur ab heredibus; et si ipse occisus fuerit, simili<br />

modo non requiratur; tantum est, ut sine culpa non occidatur. Si canis aut caballus aut quislibet peculius rabiosus<br />

factus fuerit et damnum fecerit in hominem aut in peculium, non requiratur a domino; et qui ipsum occiderit, simili<br />

modo non requiratur, ut supra. Die Berücksichtigung der fehlenden „Steuerungsfähigkeit“ von Mensch<br />

und Tier zeigt sehr deutlich, dass nicht nur der Verursacher des Taterfolges (es sei Mensch oder Tier)<br />

nicht verantwortlich gemacht, sondern auch der Familie bzw. dem Tierhalter dieses nicht steuerbare<br />

Verhalten nicht mehr zugerechnet wurde. Die Vorstellung, dass jede objektive Verletzung der<br />

Rechtsordnung <strong>als</strong> Grenzüberschreitung eine Reaktion verlangte (dazu etwa Fischer, Tierstrafen,<br />

S. 44 f., 49 mwN), stößt jedenfalls hier an ihre Grenzen.<br />

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