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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Zur Wahrnehmung und Bewältigung städtischer Wasserkrisen im späten 19. Jh.<br />

Das Bemerkenswerte daran war nicht das Analyseergebnis, sondern die Tatsache,<br />

dass die Stadtverwaltung ihr weiteres Vorgehen mit den Grenzwerten der<br />

Wiener Wasserversorgungskommission von 1864 rechtfertigte. Denn sie machte<br />

sich Grenzwerte zu eigen, die zum damaligen Zeitpunkt umstritten waren und<br />

denen eine gewisse Akzeptanz nur zugute kam, weil plausible Alternativen fehlten.<br />

35 Dessen ungeachtet gelang es der Stadtverwaltung auf lange Sicht, die maßgebliche<br />

Kontroverse zu ihren Gunsten zu entscheiden, ob man Wasser quasi im<br />

Einklang mit der <strong>Natur</strong> über traditionelle Quellwasserleitungen gewinnen oder ob<br />

man es der <strong>Natur</strong> durch den Einsatz technischer Apparate gleichsam abringen<br />

solle. Unter Berücksichtigung dieser Grenzwerte büßten die anfänglich starken<br />

Vorbehalte gegenüber dem scheinbar widernatürlichen, weil „künstlich bergauf<br />

getriebenen Rheingrundwasser“ und qualitativ minderwertigen Rohrleitungswasser<br />

nach und nach an Zuspruch ein. Darüber hinaus schien es der Zugriff auf ein<br />

Grundwasservorkommen zu erlauben, sich von Quellwasserleitungen abzuwenden,<br />

deren Ergiebigkeit mit den Temperatur- und Witterungsverhältnissen korrelierte.<br />

Die Notwendigkeit, die Wasserversorgung auf eine stabile und kontrollierbare<br />

Grundlage zu stellen, betonte Oberbürgermeister Ohly im Mai 1877 in seiner Rede<br />

vor den Darmstädter Stadtverordneten. Darin äußerte er, nicht die hohen Kosten<br />

des zu erbauenden Wasserwerks sollten Unbehagen verursachen, sondern die Aussicht<br />

einer auch in Zukunft auf einer unsicheren Versorgungsgrundlage existierenden<br />

Stadt. Die regelmäßige Wasserknappheit sei „ein unerträglicher Zustand“, der<br />

dazu angetan sei, das Leben in der Stadt auch künftig gehörig durcheinander zu<br />

bringen. Ganze Straßenzüge könnten erneut trocken fallen. Wie zuvor könne es<br />

auch wieder geschehen, dass Soldaten, Dienstboten und Arbeiter aus den Betrieben<br />

im Sommer Wasser suchend in der Stadt umherstreifen und jeden einigermaßen<br />

ergiebigen Brunnen so lange belagern, bis sich die Qualität von dessen Wasser<br />

durch die ständige Beanspruchung rapide verschlechtere. Abstriche bei der individuellen<br />

und öffentlichen Hygiene müssten ebenso in Kauf genommen werden wie<br />

eine erhöhte Brandgefahr. Vor Augen führen müsse man sich schließlich, dass sich<br />

niemand freiwillig in einer solchen Stadt niederlassen wolle, mag sie auch noch so<br />

bedeutende kulturelle Einrichtungen ihr Eigen nennen. Ohlys politisch klug aufgebaute<br />

Rede verfehlte ihre Wirkung nicht. Indem er an die unschönen Ereignisse<br />

der Vergangenheit erinnerte und zugleich einen Ausblick auf eine politisch, ökonomisch<br />

und hygienisch lichte Zukunft skizzierte, bewegte das Stadtoberhaupt alle<br />

Stadtverordneten dazu, für den Bau einer zentralen Wasserversorgung zu stimmen.<br />

35 Mohajeri: Jahre, S. 55.<br />

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