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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Eva-Maria Stolberg<br />

sel geht dabei auf die mittelalterliche Ostkolonisation bzw. polnische Reichsbildung<br />

zurück. Doch stellt sich die Frage, inwiefern Flüsse überhaupt präzise<br />

Grenzen für eine Territorialbildung bieten können. 5 Eng damit verbunden ist auch<br />

der problematische Begriff der „natürlichen Grenzen“, der ebenfalls im 19. Jahrhundert<br />

entstanden ist. Expansion wurde hier <strong>als</strong> „natürlicher“ Prozess angesehen,<br />

und später wurde in der NS-Zeit unter diesem Paradigma die Expansion legitimiert.<br />

Zwar bilden Wasserstraßen Möglichkeiten einer Grenzziehung, doch diese<br />

Grenzen sind nach Peter Krüger nicht von der <strong>Natur</strong> gesetzt. Es sind eben keine<br />

naturgegebenen Grenzen, sondern aus „menschlich-politischer Verfügungsgewalt<br />

[ent-]stehende Linien, [sie] können auch bestritten und geändert werden.“ 6 Das<br />

zeigen die Flüsse Oder und Weichsel, die im 19. und 20. Jahrhundert zum Streitobjekt<br />

zwischen den Nationen wurden.<br />

Transregionale und transnationale Netz- und Regelwerke stehen seit jüngster<br />

Zeit im Mittelpunkt der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion und werfen<br />

den grundlegenden Zusammenhang zwischen geografischem Raum, dem <strong>Natur</strong>haushalt<br />

von Flusssystemen und der menschlichen Gesellschaft auf, die sich<br />

gegenseitig beeinflussen. Elisabeth Heidenreich nennt dies „Fliessräume“, die sie<br />

<strong>als</strong> Verflechtung „stofflicher, räumlicher und sozialer Dimension beschreibt, die<br />

durch die Technologisierung des 19. und 20. Jahrhunderts einen qualitativ neuen<br />

Lebensraum, einen neuen Habitat darstellen.“ 7 Das Bild „vom Fliessen“ ist insofern<br />

treffend, <strong>als</strong> es sich bei den Begriffen Raum, <strong>Natur</strong> und Kultur um unscharfe<br />

und vieldeutige Begriffe handelt. Dies verwundert nicht, da auch die naturräumlichen<br />

Gegebenheiten im Oder-Weichsel-Raum im Fluss sind, d. h. durch natürliche<br />

wie auch anthropogene Einflüsse variieren. Im Zuge der Nationsbildung von<br />

der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte es sich dann, dass die<br />

Flussregulierung und die Definition von Flüssen <strong>als</strong> Grenzen Hand in Hand gehen<br />

und die nationalen Ideologien dabei bemüht waren, den Flüssen ihre naturgegebene<br />

„Unschärfe“ und „Variation“ (durch Überschwemmungen, Versandungen,<br />

Ausbildung von Nebenarmen) zu nehmen.<br />

Berücksichtigung der Flüsse <strong>als</strong> Grenz- und Verbindungslinien, in: Passauer Jahrbuch, Jg. 48, 2006,<br />

S. 181-198, hier: S. 186.<br />

5 Vgl. hierzu Krüger, P.: Der Wandel der Funktion von Grenzen im internationalen System Ostmitteleuropas im<br />

20. Jahrhundert, in: Lemberg, H. (Hg.): Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Aktuelle Forschungsprobleme, Marburg 2000, S. 40.<br />

6 Ebd., S. 43. Zur Problematik der „natürlichen Grenzen“ siehe auch Schultz, H. - D.: Deutschlands<br />

„natürliche Grenzen“, in: Demandt, A.: Deutschlands Grenzen in der Geschichte, München 1989, S. 33-<br />

93; Wein, F.: Deutschlands Strom - Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein 1919-1930,<br />

Essen 1992.<br />

7 Heidenreich, E.: Fliessräume. Die Vernetzung von <strong>Natur</strong>, Raum und Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert,<br />

Frankfurt 2004, S. 11 f..

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