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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Zur Wahrnehmung und Bewältigung städtischer Wasserkrisen im späten 19. Jh.<br />

die <strong>Natur</strong> konterkariere die Versuche des Menschen, sie zu kontrollieren. Anfänglich<br />

war man überzeugt, „ein gutes, ja vorzügliches Wasser“ gefunden zu haben.<br />

Allerdings wurde nach ungefähr siebenmonatiger Betriebszeit eine steigende Zahl<br />

von schweren Bleivergiftungen registriert, unter denen Angehörige aller Gesellschaftsschichten<br />

litten. Vor dem Hintergrund der unerfreulichen Krankheitssymp-<br />

tome angestrengte Untersuchungen brachten die Erkenntnis, dass der hohe Kohlensäuregehalt<br />

des Leitungswassers die in der Regel aus Blei bestehenden Hauszuleitungen<br />

angreife und aus ihnen Blei herauslöse. Fortan waren die Wasserwerksbetreiber<br />

gezwungen, dem Leitungswasser Kalkstein hinzuzufügen, um die verhängnisvolle<br />

Wechselwirkung zwischen Leitungswasser und Hauszuleitungen zu<br />

unterbinden.<br />

4 Schlussbemerkung<br />

Anhand der hier nur skizzierten Fallbeispiele ist eines deutlich geworden: Die konkreten<br />

Rahmenbedingungen, das Verhältnis zwischen Mensch und <strong>Natur</strong> vermittels<br />

einer zentralen Wasserversorgung neu auszurichten, unterschieden sich von<br />

Stadt zu Stadt mitunter beträchtlich. Nichtsdestotrotz lag in allen erörterten Fällen<br />

eine <strong>Grenzerfahrung</strong> mit der <strong>Natur</strong> zugrunde.<br />

In Hamburg war dies der Brand von 1842, der sich zum „Großen Brand“ ausweitete,<br />

weil es an Löschwasser bzw. an den Möglichkeiten fehlte, Löschwasser<br />

zum Brandherd zu bringen. Für Berlin wiederum war der Impuls des in der preußischen<br />

Hauptstadt residierenden Monarchen maßgeblich, der nicht mehr gewillt<br />

war, seinen Augen die Verschmutzung des öffentlichen Raumes und seiner Nase<br />

den damit einhergehenden Gestank zuzumuten. Den langjährigen und <strong>als</strong> unhaltbar<br />

empfundenen Zustand des Wassermangels zu beenden, war das entscheidende<br />

Moment in Darmstadt. Etwas anders verhielt es sich mit Dessau, kam doch dort<br />

keine der eben genannten <strong>Grenzerfahrung</strong>en zum Tragen: Eine Brandkatastrophe<br />

oder ein alle anderen Überlegungen überschattendes Unbehagen über verschmutzte<br />

und stinkende Straßen gaben hier nicht den Ausschlag. Nicht gegeben war hier<br />

auch die Erfahrung des Wassermangels. Vielmehr rief hier gerade die – angesichts<br />

der geschilderten Ausgangslage – quasi ohne Not eingeführte zentrale Wasserversorgung<br />

zweimal eine <strong>Grenzerfahrung</strong> hervor, infolge derer die angestrebte Verbesserung<br />

vorerst ausblieb.<br />

Die <strong>Natur</strong>, das hat man schon im späten 19. Jahrhundert in Dessau schmerzlich<br />

erfahren müssen, hat ihre eigenen Gesetze, und geht der ein beträchtliches<br />

Wagnis ein, der sich dieser Gesetzlichkeiten nicht bewusst ist. Der Vergleich zwischen<br />

den Städten Darmstadt und Dessau macht indes deutlich, welches Risiko<br />

man seinerzeit in der südhessischen Stadt eingegangen war. Schließlich hatte man<br />

dort mit den gleichen (wissenschaftlichen) Kriterien operiert wie in der<br />

anhaltischen Hauptstadt.<br />

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