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Natur als Grenzerfahrung - Oapen

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Cornel Zwierlein<br />

Perspektive eröffnet die Konzentration auf die <strong>Natur</strong>unglücks-Versicherungsgeschichte<br />

in ihrer Einbettung in die Financial Revolution zunächst einmal eine<br />

bisher nicht verfolgte Perspektive auf die Vorgeschichte des viel geläufigeren Verhältnisses<br />

von Industrialisierungsgeschichte und Umweltgeschichte: Dieses letztere<br />

Verhältnis hat zu einer Fülle von Ressourcen-Ausbeutungs- und „Verschmutzungs“-Geschichten<br />

geführt, von der Holznot-Debatte der Frühen Neuzeit bis zur<br />

Luftverschmutzung in den Industriestädten mit ihrem Metabolismus-Verhältnis<br />

zur Umwelt. 56 So wie die These von der Financial Revolution aber nach einer Vorgeschichte<br />

und stets mitlaufenden strukturellen Bedingung für die industrielle<br />

Revolution fragte, so ist dann auch in der Umweltgeschichte nach Vor- und<br />

Seitenbedingungen des industriellen Zugriffs auf die <strong>Natur</strong> zu suchen. Dies nicht<br />

nur in dem Sinne, wie Bayerl im „ökonomischen Blick“ des Kameralismus auf die<br />

<strong>Natur</strong> schon die ausbeuterische Tendenz, dieselbe <strong>als</strong> „Warenhaus“ zu identifizieren,<br />

festmachte. 57 Sondern es ist allgemeiner auf der Entstehung dieser Wahrnehmungsdistanz<br />

zu insistieren, die im wirtschaftlichen Bereich die Vorstellung einer<br />

„Werte-Verdopplung“ ermöglichte, die im Hinblick auf <strong>Natur</strong> aber nicht nur die<br />

Wahrnehmung derselben <strong>als</strong> simples Ausbeutungsobjekt bedeutete, sondern auch<br />

<strong>als</strong> eine Sphäre, von der Gefahr für die Reibungslosigkeit und Prosperität der Wirtschafts-Kultur<br />

ausging. In allgemeineren kameralistischen Kompendien und Einführungen,<br />

die Versicherungen nur im Rahmen der Gesamtbetrachtung der<br />

staatswirtschaftlichen Zusammenhänge erörtern, werden dieselben einerseits unter<br />

die bekannte Rubrik der „Policey“ gefasst, obwohl sie in vielerlei Hinsicht eigentlich<br />

den normativ-gemeinnützigen Verordnungscharakter der frühneuzeitlichen<br />

Policey sprengten, insofern sie eher auf Eigennutz basiertes Verhalten stimulieren<br />

(„sich selbst versichern“). Enger aber werden die Versicherungen oft <strong>als</strong> „Anstalten<br />

wider die Unglücksfälle“ eingeordnet, <strong>als</strong> Anstalten, die verhindern sollten, dass<br />

durch <strong>Natur</strong>katastrophen in die Wertebilanz des Staates ein Loch gerissen würde –<br />

in die Werte- und in die Glücksbilanz im Sinne des kameralistischen Staatsziels. 58<br />

56 Vgl. zusammenfassend zur seit fast 30 Jahren geführten Holznot-Debatte Grewe, B.-S.: ‚Man sollte<br />

sehen und weinen!‘ – Holznotalarm und Waldzerstörung vor der Industrialisierung, in: Uekötter, F. / Hohensee,<br />

J. (Hg.): Wird Kassandra heiser? Die Geschichte f<strong>als</strong>cher Ökoalarme, Stuttgart 2004, S. 24-51;<br />

Überblick zu Verschmutzungsgeschichten bietet Bernhardt, C. / Massard-Guilbaud, G. (Hg.): Le<br />

démon moderne / The modern demon: La pollution dans les sociétés urbaines et industrielles, Clermont-Ferrand<br />

2002; Schott, D. / Toyka-Seid, M. (Hg.): Die europäische Stadt und ihre Umwelt, Darmstadt 2008.<br />

57 Bayerl, G.: Prolegomenon der ‘Großen Industrie’. Der technisch-ökonomische Blick auf die <strong>Natur</strong> im 18. Jahrhundert,<br />

in: Abelshauser, W. (Hg.): Umweltgeschichte. Umweltverträgliches Wirtschaften in historischer<br />

Perspektive, Göttingen 1994, S. 29-56, 31-50 – zuvor schon, im Hinblick auf Forstwissenschaften,<br />

Lowood, H. E.: The Calculating Forester. Quantification, Cameral Science, and the Emergence of Scientific<br />

Forestry Management in Germany, in: Frangsmyr, T. / Heilbron, J. L. / Rider, R. E. (Hg.): The Quantifying<br />

Spirit in the Eighteenth Century, Berkeley 1991, S. 315-342.<br />

58 Beispiele: Pfeiffer, J. F.: Natürliche aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende Allgemeine Policeiwissenschaft,<br />

Frankfurt/M 1779 [Neudruck Aalen 1970], Bd. 1, 332-340; Jung-Stilling, J. H.: Lehrbuch der<br />

Staats-Polizey-Wissenschaft, Leipzig 1788, §§ 847-912, S. 360-390 - insofern verwundert, warum eine<br />

Arbeit, die gerade vom bekannten Staatszweck des Kameralismus, der Glückseligkeit, ausgeht, den<br />

Anstalten wider die Un-Glücksfälle nur zwei Seiten einräumt: Cortekar: Glückskonzepte, S. 95 f..

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